Gilt im Schweizer Sexualstrafrecht bald «Nur Ja heisst Ja»? Kajsa Bornhauser (jglp) schreibt im Gastbeitrag, weshalb «Nein heisst Nein» nicht reicht.
Kajsa Bornhauser
Kajsa Bornhauser, , Mitglied glp Illnau-Effretikon, Vorstand jglpZH und jglpCH - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Parlament beugt sich derzeit über die Revision des Sexualstrafrechts.
  • Einige fordern die Zustimmungslösung «Nur Ja heisst Ja».
  • Eine jglp-Politikerin erklärt im Gastbeitrag, weshalb dies nötig ist.
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Ich kann nicht zählen, wie oft mein «nein» schon nicht akzeptiert wurde. Auf ein «lieber nicht» kommt ein «wieso nicht?» als Antwort, auf ein «ich will nicht mit dir sprechen» ein «aber ich mit dir!», auf «ich habe einen Freund» - «er muss nichts davon erfahren!».

Lange fragte ich mich, was der Grund ist für diese Art von Verhalten. Wenn ich meinen Kindern im Cevi sage, dass sie etwas nicht tun sollen, dann hören sie auf damit – und sie sind 4 bis 6 Jahre alt. Wie kann es also sein, dass Kinder ein «Nein» besser verstehen als Erwachsene?

Wieso? Es wird bereits von meiner Zustimmung ausgegangen. Gewisse Menschen schliessen von meiner Kleidung oder meinem Aussehen darauf, dass ich ihnen meine Aufmerksamkeit schulde.

«Nein» reicht eben nicht aus

Es ist ein grundsätzliches, tief verwurzeltes Problem: Dass Männer sich über Frauen lustig machen, die den «Seestern» machen im Bett – also nur passiv da liegen. Dass Männern beigebracht wird, dass Frauen erobert werden wollen, dass sie sich nicht mit einem Nein zufriedengeben sollen.

Dabei sollte auch allen Erwachsenen klar sein, dass ein Nein reichen muss - nicht nur den Kindern.

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Eine Deutsche muss aus ihrer Wohnung ausziehen. Ihre Nachbarinnen beschwerten sich über zu laute Sexgeräusche. (Symbolbild) - dpa

Aber reicht die «Nein heisst nein»-Lösung aus? Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der ich als unhöflich gelte, wenn ich Nein sage. Es fällt mir schwer, andere Menschen zu enttäuschen. Und dabei ist es noch einfacher, bei fremden Menschen Nein zu sagen. In nahen, intimen Beziehungen sind die Hürden, nein zu sagen, viel zu gross, und gerade in Beziehungen wird Zustimmung oft als Grundzustand wahrgenommen.

Und darum ist die «Nein heisst Nein»-Lösung für sexuelle Handlungen nicht ausreichend. Sie zementiert meine sexuelle Zustimmung fälschlicherweise als Grundzustand. In jedem anderen Bereich des Lebens ist klar, dass das nicht so ist: Wenn ich einen Schluck aus der Wasserflasche von meinem besten Freund will, frage ich zuerst.

Es ist für mich unverständlich, das gerade bei so intimen, potenziell verletzlichen Handlungen wie Sex diese Zustimmung nicht notwendig sein soll. Dabei braucht es keinen schriftlichen «Sex-Vertrag» – das würde uns auch nicht weiterbringen, denn Zustimmung sollte jederzeit entzogen werden können.

Hoffnung auf Umdenken

Von einem Paradigmenwechsel von «Nein heisst Nein» zu «Ja heisst Ja» im Sexualstrafrecht erhoffe ich mir nicht mehr Verurteilung, sondern ein Umdenken: Nicht mehr: «Hat sie sich gewehrt?» oder «Hat sie Nein gesagt?», sondern: «War die Handlung einvernehmlich?» Denn Zustimmung ist eine selbstbestimmte Entscheidung und darf und sollte nicht mehr als Grundzustand angenommen werden.

Ich hatte unglaublich Mühe damit, einen Text zu Ja heisst Ja zu schreiben. Die Gründe, dass ich ein Sexualstrafrecht brauche, in dem meine Zustimmung nicht als Grundzustand gilt, sind persönlich und unglaublich intim, und betreffen nie nur mich. Es sind Dinge, über die man im Alltag nicht spricht. Nur wenige Menschen kennen die Situationen, in denen meine Zustimmung nicht gegeben war, ich das aber nicht aussprechen konnte. Situationen, die mich bis heute begleiten, die mich verunsichern, die mich zermürben und erschöpfen.

mädchen
Meist sind es Mädchen und weibliche Jugendliche, die sexuell missbraucht werden. Foto: Nicolas Armer/dpa - dpa-infocom GmbH

Es sind nicht Situationen, welche die Öffentlichkeit etwas angehen. Es sind nicht Gefühle, welche die Öffentlichkeit etwas angehen. Ich habe das Privileg, dass ich hier so viel preisgeben kann, wie ich will. Ich kann der Öffentlichkeit Details vorenthalten, die sie nichts angeht. Ich muss mein Trauma nicht öffentlich aufarbeiten.

Wer eine Polizeianzeige macht, hat dieses Privileg nicht. Sie sind gezwungen, mit fremden Menschen, die ihnen nur bedingt gut gesinnt sind, eine Situation aufzuarbeiten, die andere Menschen mit ins Grab nehmen würden.

Es muss darüber gesprochen werden

Diese Menschen, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind, müssen unterstützt werden, auch für sie gilt die Unschuldsvermutung. Die Menschen, die sich trauen, anzusprechen, was ihnen geschehen ist, haben meine grenzenlose Solidarität.

Es liegt eine absolute Hoffnungslosigkeit darin, dass ich von Erlebnissen erzähle, die übergriffig waren und mich geprägt haben, und dann gefragt werde, ob das denn für mich denn als Vergewaltigung zähle. Es liegt eine Hoffnungslosigkeit darin, dass ich beim zweiten Date mit jemandem, den ich echt mochte, mit ihm abmachen musste, dass jegliche Annäherung von mir kommen muss. Die Hoffnungslosigkeit, dass es schon als Zustimmung gewertet wird, wenn ich mich küssen lasse, oder wenn ich zu jemandem nachhause gehe, oder wenn ich nur schon lächle.

Ich finde Hoffnung darin, dass ich beginne, meine Zustimmung als kostbar und nur von mir und meinem Willen, und nicht von meinen Handlungen abhängig zu machen. Gespräche über Zustimmung und über Vorstellungen im Schlafzimmer müssen normalisiert werden. Chum, mer reded über consent!

Zur Autorin: Kajsa Bornhauser, Ottikon bei Kemptthal, Mitglied glp Illnau-Effretikon, Vorstand jglpZH und jglpCH

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