Boomer-Narzissmus: Warum dich deine Eltern nicht verstehen!
Wenn wir aufhören, unsere Eltern ändern zu wollen, dann entstehe Raum. Eine Kolumne von Narzissmus-Expertin Chris Oeuvray.

Das Wichtigste in Kürze
- In vielen Familien krache es heute dort, wo früher geschwiegen wurde.
- Besonders in der Beziehung zwischen Babyboomern und ihren Kindern werde es gerade brisant.
- Das sagt Narzissmus-Expertin Chris Oeuvray.
Kennst du solche Sätze? «Das ist deine Meinung, aber ich habe mehr Lebenserfahrung.» Und: «Früher hat man sich noch angestrengt, statt alles gleich infrage zu stellen.» Oder: «Wir haben das Beste für dich gewollt – und das war nicht immer einfach.»
Willkommen in der Welt des familiären Mikrokosmos, wo Narzissmus nicht laut und offensichtlich ist, sondern sich in gut gemeinten Ratschlägen, subtiler Rechthaberei und ewiger moralischer Überlegenheit tarnt.
Besonders in der Beziehung zwischen Babyboomern und ihren Kindern wird es gerade brisant.
Generationen-Crash: Narzissmus mit grauen Schläfen?
In vielen Familien kracht es heute dort, wo früher geschwiegen wurde. Plötzlich stellen Millennials oder Gen Z alles infrage, was ihre Eltern jahrzehntelang für selbstverständlich hielten: Rollenbilder, Karrierewege, Lebensziele. Ja, sogar Erziehungsmethoden.
Die Reaktion darauf? Abwehr. Kritik wird persönlich genommen. Diskussionen enden mit: «Ich habe doch alles für dich getan!»
Es sind nicht selten narzisstische Muster, die hier sichtbar werden: die Unfähigkeit zur Selbstkritik, das tiefe Bedürfnis, für Aufopferung bewundert zu werden – und ein fragiles Selbstbild, das jede Infragestellung als Angriff empfindet.
Und so entsteht ein Teufelskreis aus Vorwürfen, Rückzug, Missverständnissen. Und dem leisen Schmerz, sich vom eigenen Elternhaus nicht verstanden zu fühlen.
Und jetzt kommt das, was kaum jemand ausspricht
Nicht jede narzisstische Verhaltensweise entspringt echter Boshaftigkeit. Viele Eltern der Boomer-Generation konnten gar nicht anders.
Sie wuchsen auf in einer Zeit, in der Gefühle unterdrückt, Bedürfnisse ignoriert und Selbstwert aus Leistung geschöpft wurde.

Ein Vater, der nie gelernt hat, über seine Ängste zu sprechen, wirkt auf seinen Sohn schnell kalt. Eine Mutter, die ihre eigenen Träume aufgab, um «gute Mutter» zu sein, klammert sich umso fester an den Gedanken, alles richtig gemacht zu haben.
Das, was heute als narzisstisch empfunden wird, war damals schlicht eine Überlebensstrategie. Dies entschuldigt nichts. Und erklärt nicht alles. Aber es erklärt vieles.
Was es jetzt braucht: Keine Anklage – sondern Dialog
Zwischen Vorwurf und Verständnis liegt der einzige Weg, der wirklich heilt: nämlich Verbindung.
Nicht, indem wir alles verzeihen, was verletzt hat. Sondern indem wir bereit sind, den Menschen hinter dem Verhalten zu sehen. Und gleichzeitig unsere eigenen Grenzen klar benennen.
Wenn wir aufhören, unsere Eltern ändern zu wollen, und stattdessen anfangen, uns selbst zu befreien, dann entsteht Raum. Und zwar für echte Begegnung und für neue Rollen. Für versöhnte Beziehungen, in denen Schuld weichen darf und Reife wachsen kann.
Denn ja – manchmal war da Narzissmus.
Aber manchmal war da auch nur Angst. Und der stille Wunsch, endlich gesehen zu werden – auf beiden Seiten.
Wie erlebst du das? Schreib es uns in die Kommentare (unten).
Zur Person: Chris Oeuvray ist Expertin für Narzissmus, psychologische Beraterin und Autorin («Narzissmus – ohne mich», weitere Bücher auf ch-oeuvray.ch) aus Zug.