Kurz nach seinem 10. Jubiläum wird beim «Enfant terrible» Schluss sein. Die Bar im Kreis 3 muss schliessen, weil auf dem Grundstück Wohnungen entstehen sollen.
tsüri ch
Als die Betreiber:innen das Lokal vor zehn Jahren übernahmen, war der Kreis 3 noch wenig attraktiv – das ist heute anders. - Tsüri.ch / Isabel Brun

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Bar «Enfant terrible» im Zürcher Kreis 3 muss per Ende März schliessen.
  • Für die Betreibenden ist es schwierig, eine Anschlusslösung zu finden.
  • Am aktuellen Standort sollen Wohnungen entstehen.
Ad

Im «Enfant terrible» sieht es ein bisschen so aus wie in einem Wohnzimmer einer Wohngemeinschaft: Die Betonsäulen sind mit Postern zugeklebt, über einem Tisch schwebt ein Skateboard mit der Aufschrift «Fck Nzs».

Hinter dem Tresen und vor einem grossen Sortiment an Spirituosen steht Rebecca Zolliker im Trainingsanzug. Ihre schwarzen Haare hat sie zu einem Dutt zusammengebunden, zwischen den Fingern steckt eine brennende Zigarette.

Im Februar 2014 hat sie das Lokal zusammen mit vier Freund:innen übernommen, umgebaut und zu ihrem zweiten Zuhause gemacht. Dass sie den Standort an der Zentralstrasse 156 gezwungenermassen aufgeben müssen, macht der 41-Jährigen schwer zu schaffen.

Wenig Zeit, knappes Geld

Dass ihre Bar an der jetzigen Adresse keine Zukunft mehr haben wird, wussten Zolliker und die anderen Mitinhaber:innen bereits seit ein paar Jahren. Die private Eigentümerschaft plant auf dem Grundstück Wohnungen – auch im Erdgeschoss, wo in der Regel Gewerberäume sind.

Am Tag als der erste Lockdown angeordnet wurde, habe sie die Kündigung erhalten, erinnert sie sich. Das war 2020. Unzählige Mietverlängerungen sowie ein Termin bei der Schlichtungsbehörde später wurde nun das Bauprojekt genehmigt und der Auszug per Ende März 2024 ist definitiv.

tsüri ch
Um mehr Mittel für ein Schlüsselgeld aufzubringen, wollen die Betreiber:innen in den nächsten Wochen ein Crowdfunding lancieren. - Tsüri.ch / Isabel Brun

Doch die Jahre zogen ins Land, ohne dass das «Enfant terrible» ein neues Daheim gefunden hat. «Wir haben viel Energie in die Suche nach einem neuen Lokal investiert. Jedoch bis jetzt nichts Passendes gefunden», so Zolliker.

Doch nicht nur der Faktor Zeit spielt gegen sie. Denn zwar hätte man stets erfolgreich gewirtschaftet und den acht Mitarbeitenden trotz tiefen Getränkepreisen einen guten Lohn zahlen können, doch auf dem Sparkonto der Bar liege «keine Million».

Eine hohe Summe wäre aber notwendig, um das sogenannte Schlüsselgeld für die Übernahme eines neuen Lokals begleichen zu können. In der Gastrobranche ist es üblich, das Inventar – zum Beispiel die Tische und Stühle oder die Abwaschmaschine – des Vormieters oder der Vormieterin abzukaufen. Ob man will oder nicht.

Laut Zolliker haben sie für den Vorgänger des «Enfant terrible» damals knapp 30'000 Franken bezahlt. Heute würden jedoch viel höhere Summen verlangt. Bei einigen Besichtigungen habe man von Schlüsselgeldern in der Höhe von bis zu einer halben Million gesprochen. «Diese Investition könnten wir uns nicht mehr erarbeiten», so Zolliker.

Idealistisch geprägt

Der verzwickten Situation zum Trotz; die Barbetreiberin hält an ihren Prinzipien fest: «Es passt nicht zu unseren Werten, möglichst viel Geld mit unserer Arbeit einzunehmen», so Zolliker. Stattdessen will man die Türen für alle öffnen. Auch wenn das «Enfant terrible» auf den ersten Blick unkonventionell aussehe: Die Besucher:innen sind Zolliker zufolge bunt gemischt. Es kämen Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft.

tsüri ch
Die Bar an der Zentralstrasse ist auch unter Fussball- und Hiphop-Fans beliebt. - Tsüri.ch / Isabel Brun

Doch besonders am Herzen liegen ihr jene, die mit dem Wegzug der Bar ein Stück Routine verlieren: Viele Besucher:innen würden regelmässig alleine vorbeikommen, damit sie den Abend in Gesellschaft verbringen können. «Das ‹Enfant terrible› ist viel mehr als eine Bar – es ist eine Institution», so die ehemalige Sozialarbeiterin. Solche Orte seien wichtig für eine Stadt wie Zürich, die zunehmend anonymer werde.

Auf das respektvolle Miteinander legt die Betreiberin viel Wert – weil die Bar mitten im Quartier liegt, sei dies auch nötig. In den ganzen zehn Jahren hätten sie keine einzige Lärmbeschwerde gehabt, erzählt Zolliker stolz. «Punkt 00:00 Uhr schicken wir die verbliebenen Gäst:innen weg. Daran halten wir uns strikt.»

Trotzdem würden sie von manchen aufgrund ihres Erscheinungsbildes als «unseriös» abgetan werden. Dabei werde das der Bar und ihrer Arbeit überhaupt nicht gerecht, so die Barmitinhaberin.

Kein Plan B

Ihre Arbeit beinhaltet neben dem täglichen Geschäft momentan auch die Suche nach einem neuen Lokal. Erst vergangene Woche hätten sie eine weitere Absage erhalten. Nun geht die Suche weiter. Noch eineinhalb Monate bleiben dem «Enfant terrible», um eine neue Wirkungsstätte zu finden.

tsüri ch
Einzigartig und geschätzt: Der gedeckte Aussenbereich. - Tsüri.ch / Isabel Brun

Dabei setzt das Team auch auf die Mithilfe seiner Community. Über 500 Menschen reagierten auf einen Instagram-Post der Bar von letzter Woche. Zolliker zeigt sich gerührt von der grossen Anteilnahme.

Doch es sei nicht einfach, in den bevorzugten Stadtkreisen 3, 4 und 9 etwas Vergleichbares zu finden: «Als Einzelbetrieb hat man keine Chance gegen grössere Gastronomiebetriebe. Was zählt, ist die Dicke des Portemonnaies, und nicht, wie gross der Mehrwert für das Quartier wäre.»

tsüri ch
Die Bar «Enfant terrible» muss Ende März schliessen und sucht dringend nach einer Anschlusslösung. - Instagram / @enfantterriblezh

Am liebsten würden sie im Kreis 3 bleiben, doch mittlerweile wären sie einfach froh, eine Anschlusslösung zu finden. Sie habe ihren Mitarbeitenden gesagt, sie sollen sich eine neue Anstellung suchen, «doch sie weigern sich», sagt Zolliker und muss schmunzeln.

Die Hoffnung, etwas Neues zu finden, bleibt gross – auch wenn ein Plan B fehlt: «Verliere ich meine Bar, verliere ich auch meine Existenz.» Und die Stadt Zürich eine Kult-Bar mit Charakter.

***

Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «Tsüri.ch» erschienen. Autorin Isabel Brun ist (Klima-)Redaktorin beim Zürcher Stadtmagazin.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

ZigaretteInstagramFrankenEnergie