Zehn Prozent haben innerlich gekündigt – oft sind Chefs schuld
Immer mehr Mitarbeitende können sich kaum mit ihrem Arbeitgeber identifizieren – zehn Prozent haben innerlich gar gekündigt. Was dahintersteckt.

Das Wichtigste in Kürze
- Immer mehr Mitarbeitende fühlen sich emotional kaum mit ihrem Arbeitgeber verbunden.
- Das kostet die Schweizer Wirtschaft jährlich Milliardenbeträge.
- Dabei könnten die Unternehmen einiges tun, um ihre Angestellten mehr zu motivieren.
Die Resultate einer neuen Umfrage zur Lebenszufriedenheit sind ernüchternd. Nur 45 Prozent der Schweizer Beschäftigten waren 2024 zufrieden.
Zum Vergleich: 2023 waren es noch 54 Prozent, 2022 59 Prozent. In der Schweiz ist die Zufriedenheit verglichen mit dem Vorjahr weltweit am stärksten eingebrochen.
Neun Prozent der Beschäftigten in der Schweiz haben laut dem Bericht des Beratungsunternehmens Gallup sogar innerlich bereits gekündigt. Dieser Anteil bleibt seit 2019 stabil.
Besonders auffallend jedoch: Der überwiegende Teil der Beschäftigten (83 Prozent) ist nur gering an den Arbeitgeber gebunden – und macht nicht mehr als nötig.
Diese Zahl ist in den letzten Jahren gewachsen, wie der Gallup-Forschungsleiter in Europa, Marco Nink, zu Nau.ch sagt.
«Der Anteil der Beschäftigten, die aufgrund der erlebten Führung im Arbeitsalltag eine hohe emotionale Bindung aufweisen, ist kontinuierlich gesunken: Während er 2019 noch bei 12 Prozent lag, sind es heute nur noch acht Prozent.»
Das beobachtet auch Alexander Beck im Arbeitsalltag.
Der selbstständige HR-Berater, der in der Region Zug und Zürich tätig ist, erzählt Nau.ch: «Aufgrund meiner Arbeit in KMU kann ich bestätigen, dass sich Mitarbeitende weniger mit ihrem Unternehmen verbunden fühlen als vor ein paar Jahren.»
Was steckt hinter dem Phänomen? Machen die Chefinnen und Chefs von heute etwas falsch?
Die meisten kündigen wegen des Chefs
Die kurze Antwort: Ja.
«Tatsache ist, dass Mitarbeitende in ein Unternehmen kommen, weil die Aufgaben und das Umfeld spannend sind», sagt Beck. «Verlassen tun sie es jedoch oftmals wegen ihrer direkten Vorgesetzten oder einer nicht gelebten Unternehmenskultur.» Das bestätigen mehrere Studien.
Einfach den Chefinnen und Chefs die Schuld zu geben, wäre aber zu einfach.
Für Beck ist klar: Diese Entwicklung hängt auch stark mit den aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zusammen.
Corona hat immer noch einen Einfluss
«Es gibt beispielsweise gewisse Nach-Corona-Effekte», erklärt er.
In der Pandemiezeit rutschten viele Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, entliessen Mitarbeitende oder gingen in Kurzarbeit. Auch vorher als sicher eingeschätzte Jobs waren plötzlich nicht mehr selbstverständlich.
Das wirkt sich also bis heute auf die Einstellung zum Arbeitgeber aus – und laut Beck auch auf die Job-Wechselbereitschaft.
«Zudem herrscht, auch wenn die wirtschaftliche Lage zurzeit etwas eingetrübt ist, nach wie vor ein Arbeitnehmermarkt. Die demografische Entwicklung wird dies noch akzentuieren.»
Heisst: Die Unternehmen sind am kürzeren Hebel, weil qualifizierte Fachkräfte nach wie vor ein rares Gut sind.
Unter anderem, da selbst die letzten Jahrgänge der geburtenstarken Babyboomer-Generation bald pensioniert sind.
Junge wollen «möglichst viel profitieren»
Damit im Zusammenhang steht ein weiterer Faktor – das Alter der Mitarbeitenden. «Mitarbeitertreue oder -verbundenheit steht auch oft in Verbindung mit den verschiedenen Lebensphasen jedes Einzelnen», sagt Beck.
Jüngere hätten den Drang, Neues kennenzulernen und «möglichst viel zu profitieren». Mitarbeitende mit Familien dagegen hätten andere Bedürfnisse – etwa Sicherheit.

Die schlechte Nachricht für Unternehmen: Auf Faktoren wie Mitarbeiterbedürfnisse und wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen haben sie kaum Einfluss.
Es gibt aber auch vieles, das sie selbst in die Hand nehmen können, wie Beck sagt.
Was Arbeitgeber tun sollten
Auf der einen Seite stehen die harten Faktoren. Etwa «faire Entlöhnung, gute Sozialversicherungen, Fringe Benefits sowie Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten.»
Fringe Benefits sind Zusatzleistungen des Arbeitgebers, beispielsweise Mitarbeiterrabatte oder Vergünstigungen bei ÖV-Abos.
Hinzu kommen die soften Faktoren: «Unter anderem das direkte Umfeld der Mitarbeitenden mit den Kollegen und Vorgesetzten», listet er auf.
«Oder Einbindung und Mitbestimmung im Betrieb sowie die Wertschätzung der erbrachten Arbeit.»
«Die Chefrolle hat ausgedient»
Alexander Beck rät: «In erster Linie braucht es einen menschlichen, emphatischen Umgang auf Augenhöhe in der täglichen Arbeit. Die Chefrolle hat ausgedient.»
Stattdessen sollten Führungskräfte zwar lenken, aber kein hierarchisches Setting nach dem Motto «ich weiss es besser» aufbauen. «Kommunikation ist zentral.»

Dafür müssen die Unternehmen laut Beck ihren Führungskräften auch die nötigen Ressourcen und Zeit eingestehen.
«Das Thema Führung wird in vielen Unternehmen nach wie vor zu wenig ernst genommen und nebenbei in den Arbeitsalltag integriert. Dabei sollte eine Führungsperson zehn bis 20 Prozent ihrer Arbeit für Führungsaufgaben einsetzen können.»
Gute Führung wirkt sich positiv aufs Portemonnaie aus
Einige scheinen die vielen Tipps bereits erfolgreich umzusetzen.
Forscher Marco Nink sagt zu Nau.ch: «In der Schweiz gibt es Unternehmen, bei denen über 60 Prozent der Mitarbeitenden emotional hochgebunden sind. Diese Unternehmen treiben das Thema Führungsqualität aktiv voran.»
Und das rechnet sich, wie Nink betont.
Es bestehe ein Zusammenhang zwischen emotionaler Mitarbeiterbindung und Unternehmenskennzahlen. «Sowohl auf der Kostenseite als auch auf der Wachstumsseite.»
So hätten Arbeitsgruppen mit hoher emotionalen Bindung beispielsweise weniger Fehltage als solche mit einer geringen Bindung.
Hinzu kommen «eine geringere Fluktuation, weniger Arbeitsunfälle, weniger Qualitätsmängel, bessere Kundenbewertungen und eine höhere Produktivität».
Schlechte Bindung kostet Schweiz fast 90 Milliarden
Das Fazit des Forschers: «Je grösser die Anzahl der emotional hoch gebundenen Mitarbeitenden, desto leistungs- und wettbewerbsfähiger ist ein Unternehmen.»
Auch umgekehrt gilt: Sind Mitarbeiter nicht an das Unternehmen gebunden, hat das laut der Gallup-Studie negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft.
Geringe oder fehlende emotionale Bindung kostet die Schweiz demnach 89,9 Milliarden Franken pro Jahr.