«Reizüberflutung»: Die Schweiz wird immer lauter
Im öffentlichen Raum sind wir ständig Lärm ausgesetzt – das sorgt für Ärger. Tatsächlich wird es in der Schweiz immer lauter.

Das Wichtigste in Kürze
- Lärm begleitet uns in Alltagssituationen ständig und kann schnell nervig werden.
- In vielen Geschäften wird der Lärmpegel durch Hintergrundmusik zusätzlich erhöht.
- Besonders betroffen davon sind Personen im Autismus-Spektrum.
Sei es beim Einkaufen, im öffentlichen Verkehr oder sonst in alltäglichen Situationen: Lärm begleitet uns überall.
In einer Facebook-Gruppe stösst eine Baslerin zu diesem Thema eine Diskussion an. Sie nervt sich darüber, dass es in der Schweiz immer lauter werde und schreibt: «Reizüberflutung beim Einkaufen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder einfach in alltäglichen Situationen.»
Viele sind mit ihr einig.

Das zeigt auch eine Befragung der ETH Zürich von 2023. 70 Prozent fühlen sich etwa vom Strassenlärm gestört. Auch Baustellenlärm empfinden viele Schweizerinnen und Schweizer als störend.
«Lärm nach wie vor unterschätzt»
Doch wird der Lärm wirklich immer mehr und zu einem Problem? Oder werden wir einfach immer sensibler?
Der Zuger Hörakustikexperte Hansueli Müller warnt: «Ja, der Alltagslärm nimmt zu. Lärm ist in unserem Alltag allgegenwärtig, wird aber nach wie vor unterschätzt.»
Müller fügt hinzu: «Eine Lärmbelastung über eine gewisse Dauer kann nicht nur zu einer Hörminderung, sondern auch zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen.»

Gerade beim Einkaufen in Geschäften ist man mit vielen Geräuschen konfrontiert. Nebst dem Lärm durch die Kundschaft, summenden Kühlgeräten oder scheppernden Harassen ertönen vielerorts zusätzlich noch Musik oder Aktionenspots.
Die Musik, so Coop, laufe aber nur dezent im Hintergrund: «Es ist wichtig, dass die Musik von unseren Kundinnen und Kunden nicht als störend empfunden wird.»
In Aldi-Filialen hingegen wird keine Musik abgespielt. «Wir legen grossen Wert auf ein angenehmes Einkaufserlebnis für unsere Kundschaft», betont Aldi Suisse.
Telefonieren via Lautsprecher im ÖV nervt
Auch im ÖV ist man nebst dem Motoren- und Zuglärm mit zusätzlichen Geräuschen konfrontiert. Ein Beispiel: Leute, die lautstark telefonieren – und das auch noch via Lautsprecher.
Die Baslerin nervt sich in ihrem Post, dass «jeder seine Beziehungsprobleme laut via Lautsprecher oder Sprachnachricht kommuniziert».
Knigge-Expertin Katrin Künzle stellt ebenfalls vermehrt fest, dass der «Basis-Abstand nicht mehr vorhanden ist».
Sie sagt, dass gerade im öffentlichen Verkehr durch die Einhaltung von einfachen Regeln der Lärm minimiert werden könnte.
Die Zürcherin empfiehlt, auf das Telefonieren mit Lautsprecher zu verzichten oder Kopfhörer zu tragen. Auch der Ton sollte beim Sprechen gesenkt werden.
Personen im Autismus-Spektrum sind besonders betroffen
Nicht nur nervig ist der Lärm für Menschen im Autismus-Spektrum – sie leiden darunter.
Die Organisation «Autismus Schweiz» lässt gegenüber Nau.ch verlauten: «Menschen im Autismus-Spektrum nehmen Reize oft intensiver wahr und verarbeiten Sinneseindrücke anders als neurotypische Menschen.»
Ständiger Lärm sei für sie oft sehr herausfordernd und mit viel Stress verbunden. «Es kann zu einer Reizüberflutung kommen», fügt der Verein hinzu.
Zu einer solchen Reizüberflutung kann es gerade beim Einkaufen kommen.
«Rollende Einkaufswagen, Hintergrundmusik, Gespräche, Werbedurchsagen und leuchtende Bildschirme – all diese und weitere Faktoren machen das Einkaufen schwierig. Sie überfluten das autistische Gehirn ungefiltert.»
Stressreduziertes Einkaufen dank «Stillen Stunden»
Erste Massnahmen gegen reizüberflutenden Lärm in der Öffentlichkeit gibt es bereits: Beispielsweise die sogenannten «Stillen Stunden» in Zürcher Spar-Supermärkten.
Zweimal wöchentlich wird in mehreren Filialen im Kanton Zürich und Aargau ein möglichst reizarmes Einkaufserlebnis geboten.
«Keine Hintergrundmusik, kein Piepen an der Kasse, Verständnis bei den Mitarbeitenden, reduziertes Licht und kein Auffüllen von Waren. Das ermöglicht ein stressreduziertes Einkaufen», so «Autismus Schweiz».
Das Angebot werde von Betroffenen sehr geschätzt.