In der Schweiz herrschen bei Studierenden Ungleichheiten. Zwei Studenten und eine Soziologin kommen zu Wort.
Eine Tiktokerin spricht über «arme» Studierende - Tiktok / @yasmincelin

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine Tiktok-Userin nervt sich über den Realitätsverlust ihrer reichen Mitstudierenden.
  • Sie hätten keine Ahnung davon, was Sparen bedeutet und wie ärmere Studierende leben.
  • Soziologin Katja Rost sieht das Einkommen als grösstes Diskriminierungsmerkmal.
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Eine Tiktok-Userin kriegt die Krise. Ihre reichen Mitstudierenden hätten keinen Bezug zur Realität von weniger vermögenden Menschen.

Ihre reichen Kommilitonen fühlten sich im Verhältnis zu noch vermögenderen Menschen arm. Wenn sie über Geld reden würden, meinten sie aber, dass alle Menschen reich sein könnten.

Ein besonders absurder Tipp der reichen Kollegen: Man müsse das Geld nur richtig aufteilen. «Weniger Kleider kaufen, dabei für Ferien sparen!» Dass die Miete, die Studiengebühren sowie weitere Lebenskosten bei der Tiktok-Nutzerin das ganze Geld schlucken, würden sie nicht verstehen.

So geht es Schweizer Studierenden

Wie der Tiktokerin geht es auch Angelina W.* aus Solothurn. Sie studiert Psychologie an der Universität Basel und kommt aus einem sozioökonomisch schwachen Haushalt.

Sie hat mit 24 bewusst entschieden, sich komplett selbst zu finanzieren. Aktuell hat sie neben dem Studium zwei Nebenjobs. Angelina ist immer damit beschäftigt, all ihre Tätigkeiten und ihr Budget zu planen.

Durch diesen hohen Druck fehlt ihr Zeit für sich, das Studium oder für Dinge, die ihr Freude bereiten. «Ich sehne mich nach mehr Zeit, um einfach mal tief durchzuatmen und ohne schlechtes Gewissen einen Tag freizunehmen», sagt Angelina gegenüber Nau.ch.

Auch sie kennt realitätsferne Kommentare von Mitstudierenden. Eine Studienkollegin habe mal kommentiert: «Ich erhalte NUR 1400 Franken von meinen Eltern als Taschengeld und kann nicht mal jede Woche auswärts essen gehen!»

Universität
An der Universität ist längst keine Chancengleichheit geschaffen. (Symbolbild)
Sparen
Nicht alle haben den gleichen Gelddruck. (Symbolbild)
studenten
Laut Soziologin Katja Rost sind Studierende aus armen Verhältnissen sehr stark und zielstrebig. (Symbolbild)

Wohnung, Krankenkasse und Nebenkosten würden die Eltern dieser Kommilitonin aber zahlen. «Solche Kommentare frustrieren mich sehr, wenn ich daran denke, in welcher Luxussituation sie in meinen Augen lebt», sagt Angelina.

Reicher Student: «Hatte keine ‹zusätzlichen› Sorgen zum Studium»

Anders sieht die Situation bei Dominik A.* aus: Er hat in Zürich Geografie studiert. Der Ostschweizer kommt aus einer neureichen Familie – als er 15 war, kam sein Vater zu viel Geld.

Er lebt von einem monatlichen «Lohn» seines Vaters, auch während des Studiums. Bei Menschen, die länger reich sind, ist auch Dominik der Meinung, dass sie keinen Realitätsbezug haben.

Er ist sich seiner Privilegien im Studium sehr bewusst: «Ich hatte keine ‹zusätzlichen› Sorgen zum Studium.» Je nachdem, wie viele reiche Mitstudierende es gäbe, müsse man sich anpassen – oder nicht.

Vor seinen Mitstudierenden habe er sein Auto aber verheimlicht und nur gute Freunde in seine Wohnung eingeladen. «Mir war mein Geld aber halt manchmal ‹peinlich›. Weil es ja nicht wirklich meins ist, sondern Papas», erklärt Dominik.

Aktuell ist Dominik auf Stellensuche, die sich schwierig gestaltet. Aufgrund seines Wohlstands hat er aber auch hier weniger Druck und genügend Zeit, um sich was «Ordentliches» zu suchen.

«Es geht um die Auswirkungen von Geld»

Katja Rost, Soziologin von der Universität Zürich, sieht die Ungleichheit zwischen den Studierenden klar: «Das Einkommen bleibt das grösste Diskriminierungsmerkmal.» Hier gehe es nicht nur um das aktuelle Vermögen, sondern die Auswirkung, die Geld auf die Sozialisierung der Studierenden habe.

Sehen Sie Geld als das grösste Diskriminierungsmerkmal unter Studierenden?

In einem reichen Haushalt hätten Kinder von Anfang an Hilfe, so Rost. Nachhilfe, Eltern mit eigener Studienerfahrung und einem breiten Netzwerk wären wegleitend für die Zukunft. Sie könnten schon früh den «Stallgeruch» erfolgreicher und mächtiger Menschen schnuppern.

Die anderen müssten sich dieses soziale und kulturelle Kapital mühselig selbst aneignen – und kämen bei Elitekreisen nie ganz rein. «Die Bildungsmobilität ist recht gering», sagt Rost hierzu.

«Die Anzahl der Studierenden aus sozioökonomisch schwachen Haushalten ist nach wie vor gering», sagt die Professorin. Die, die es aber trotz der Hindernisse an die Universitäten schaffen, sind laut Rost «sehr stark und zielstrebig». Die Nebenverdienste während des Studiums, etwa im Verkauf oder der Gastronomie, nennt sie eine «Schule fürs Leben».

Trotz Vorteilen hält sich laut der Soziologin der Wohlstand nicht in allen Familien. Durch den fehlenden Druck im Studium könnten reiche Sprösslinge zu verwöhnt sein und Zielstrebigkeit verlieren.

* Namen von der Redaktion geändert.

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