Meitli führen in der Schule – aber im Job nicht mehr
In den Schulen geben die Mädchen den Ton an – in der Berufswelt kippts: Fast zwei Drittel aller Vorgesetzten in der Schweiz sind Männer. Woran liegt das?

Das Wichtigste in Kürze
- Noch immer werden Chef-Positionen deutlich öfter von Männern als von Frauen besetzt.
- Und das, obwohl die Führungsrollen in Schulen eher an die Mädchen gehen.
- Grund ist laut Experten unter anderem die hohe Teilzeitrate bei Frauen.
62,6 Prozent aller Führungspositionen in der Schweiz werden von Männern besetzt. Frauen machen laut dem Bundesamt für Statistik lediglich etwa ein Drittel aus. In den USA ist die Geschlechterverteilung ähnlich.
Dass ein Ungleichgewicht besteht, ist allgemein bekannt. Die Erklärungsansätze dafür sind – je nachdem, wen man fragt – vielfältig: Frauen seien weniger Karriere-fokussiert als Männer, Frauen würden weniger ernst genommen oder sogar: Frauen seien nicht für Führungspositionen geeignet.
Doch bei Teenagern scheint der Stereotyp laut einer Umfrage keinesfalls zuzutreffen. Es stellt sich die Frage: Wo bleiben die Frauen-Chefs?
Teenager sehen mehr Mädchen in Führungsrollen
In der Studie des Pew Research Centers in den USA wurden Teenager gefragt, welches Geschlecht mehr Führungsrollen besetzt: die Mädchen, die Jungs oder beide etwa ähnlich?
Über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler waren sich einig: Die leitenden Rollen seien gleichmässig auf die Geschlechter verteilt.
27 Prozent waren jedoch der Meinung, dass eher Mädchen solche Positionen belegen. Das sind deutlich mehr als die 16 Prozent der Befragten, die den Jungs die Führungsrollen zuschrieben.
Geht man davon aus, dass die Einschätzung der Teenager korrekt ist, zeigt sich eine grosse Diskrepanz zu den Zahlen in der tatsächlichen Berufswelt.
«Mädchen sind besser in der Schule»
Die Ursache liegt unter anderem in den unterschiedlichen Anforderungen von Schule und Job: «Schulen kommen den Mädchen mehr entgegen», erklärt Gudrun Sander, Dozentin für Betriebswirtschaftslehre und Diversity Management an der Universität St. Gallen.
Mädchen würden häufig bessere Leistungen erzielen. «Gestärkt durch diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit, getrauen sie sich wohl auch, führende Rollen zu übernehmen.»
Auch Katja Rost, Soziologin an der Universität Zürich, stimmt dieser Einschätzung gegenüber Nau.ch zu: «Mädchen sind besser in der Schule, und zwar in allen Wohlstandsländern.»
Sie würden mehr lernen, anständiger sein, bessere Noten schreiben und seien angepasster. «Und zudem auch biologisch den Buben voraus», so Rost.
Mädchen sind ambitionierter – auch in der Schweiz
Zudem, so Rost, «übernehmen Mädchen tendenziell auch mehr freiwillige Ämter, zum Beispiel jenes der Klassensprecherin».
Dass Mädchen im Teenageralter ambitionierter sind, zeigt auch die US-Studie: Rund 60 Prozent der jungen Frauen planten demnach, eine vierjährige Collegeausbildung zu absolvieren. Bei den Jungs steckten sich nur 46 Prozent das gleiche Ziel.

Es gibt keine Studien zur Verteilung von Führungsrollen unter Schweizer Schülerinnen und Schülern. Beide Expertinnen vermuten jedoch, dass auch hierzulande das Gleichgewicht in Richtung der Mädchen verschoben ist.
«Auch hier sind die Mädchen in der Schule besser, machen öfter Matura und dominieren mittlerweile bei den Eintritten an die Universitäten», sagt Rost.
Arbeitswelt fördert die Jungs
Sobald die Teenager in die Arbeitswelt übergehen, fange jedoch die Waage an zu kippen: «Die Kinder wachsen in einer Realität auf, die es früher so nicht gab. Organisationen spiegeln aber in ihren Strukturen die Realität früher wider, in der Mädchen beispielsweise seltener höhere Bildung erlangten», erklärt Rost.
Heisst: Das Schulsystem gibt Mädchen mittlerweile gleiche Chancen wie Jungs – die Arbeitswelt hinkt jedoch hinterher.
Dazu kämen dann noch weitere Aspekte: «Den Mädchen machen soziale Berufe Spass. Den Jungen eher technische und wirtschaftliche Richtungen», sagt Rost. Solche Berufe seien für Karrieren jedoch besser geeignet.
Ausserdem würden sich Frauen öfter für ein Teilzeitpensum entscheiden als die Männer. Das sei «nicht karriereförderlich», sagt Rost.
Kaum Beförderungen bei Teilzeitpensum
Sander führt aus, wie stark dieser Aspekt Frauen bei Beförderungen benachteiligen kann: «Nur etwa drei bis fünf Prozent aller Beförderungen gehen an Personen, die unter 80 Prozent arbeiten», erklärt die Expertin.

Doch Frauen hätten gerade in den entscheidenden Karrierejahren häufig nur ein Teilzeitpensum. «Aus dem Gender Intelligence Report sehen wir, dass fast 50 Prozent aller Beförderungen an die Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen gehen, also genau in der Family Prime Time», erklärt Sander.
Sie stellt fest: «Wir haben in der Schweiz eine ausgeprägte Vollzeit-Kultur, und da können oder wollen Frauen oft nicht mithalten.»
Das reduziere die Aufstiegschancen für viele Frauen «dramatisch und leider langfristig nachhaltig», sagt Sander. Und auch für die Altersvorsorge der Frauen habe dieses System negative Folgen.
Dabei sieht Sander in den tiefen Beförderungschancen von Teilzeit-Arbeitenden wenig Sinn: Das sei «sehr irrational».
Zukunftsaussichten: langsamer Prozess
Doch kann sich die Rollenverteilung in Schulen auf den Frauenanteil in Führungspositionen der Berufswelt auswirken?
«Ich glaube nicht, dass die Führungspositionen in den US-Schulen hier einen grossen Einfluss haben werden», ist die nüchterne Antwort von Sander.
Vielmehr gehe es darum, Geschlechterrollenstereotype zu hinterfragen: «Wann ist jemand eine gute Mutter, ein guter Vater? Was zeichnet gute Führungspersonen aus, unabhängig vom Geschlecht und unabhängig davon, ob sie 100 Prozent oder mehr arbeiten?»
Für die nötigen Veränderungen ist wohl noch etwas Geduld gefragt: «Dieser Prozess geht leider sehr langsam», sagt Sander.