In Luzern möchte ein Verein bewirken, dass der Fluss Reuss den Status einer Rechtsperson bekommt. Nau.ch sprach darüber mit Vereinsgründer Markus Schärli.
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Soll die Reuss, wie eine natürliche Person oder ein Unternehmen, eine Rechtspersönlichkeit zugesprochen bekommen? - zVg / Verein Rechtsperson Reuss

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Gegensatz zu Personen und Unternehmen kann ein Fluss wie die Reuss nicht klagen.
  • Der Verein «Rechtsperson Reuss» möchte dies mit einer Initiative ändern.
  • Das Gewässer soll offiziell eine Rechtspersönlichkeit zugesprochen bekommen.
  • Nau.ch hat sich mit Vereinsgründer Markus Schärli über dieses Vorhaben unterhalten.
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Wenn eine Person in ihrer körperlichen Unversehrtheit durch eine andere Person eingeschränkt wurde, dann kann sie vor Gericht klagen. Das Gleiche gilt für Stiftungen und Unternehmen.

Naturwesen, wie etwa der Fluss Reuss, können dies nicht. Ist das gerecht? Der vor Kurzem gegründete Verein «Rechtsperson Reuss» sieht das nicht so.

Mit einer Initiative will Vereinsgründer Markus Schärli erreichen, dass die Luzerner Kantonsverfassung entsprechend geändert wird. So soll der Reuss gemäss Vereinswebseite unter anderem das Recht zugesprochen werden, «als hybride Persönlichkeit im Rechtssystem die eigenen Interessen zu vertreten».

Nau.ch hat mit dem Vereinsgründer über dieses Vorhaben gesprochen und ihn gefragt, für wie realistisch er das Ganze hält.

Nau.ch: Sie möchten gerne den Fluss Reuss per Volksinitiative zu einer Rechtsperson umwandeln lassen. Was genau bedeutet dies im Vergleich zum Status Quo?

Markus Schärli: Wenn man eigene Persönlichkeitsrechte hat, kann man auch selber die eigenen Rechte einklagen. Heute können das natürliche Personen, aber auch Stiftungen und Unternehmen. Wer das nicht kann, sind Naturwesen. Dafür gibt es eigentlich keinen Grund, ausser, dass bei Konflikten zwischen Menschen und Naturwesen immer die Interessen der Menschen vorangestellt werden.

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Markus Schärli ist der Gründer des Vereins «Rechtsperson Reuss». - zVg / Verein Rechtsperson Reuss / Johanna Unternährer

Es wird so weit auf die Interessen der Naturwesen eingegangen, wie das halt irgendwie noch für die Menschen verhältnismässig erscheint. Aber es werden nicht zwei gleichwertige Interessen gegeneinander antreten. Das ist eigentlich eine Grundvoraussetzung, damit man in einem Rechtssystem zu seinem Recht kommt.

Nau.ch: Was würde eine solche Gesetzesänderung an einer Bestrafung ändern? Wenn jemand beispielsweise die Reuss verschmutzt, wäre dies ja schon heute verboten.

Schärli: Sie sprechen bereits die Bestrafung an – wenn man jedoch die Konflikte im Rechtswesen anschaut, dann geht es sehr oft gar nicht darum. Sondern es geht darum, die eigenen Interessen durchzusetzen. Bestrafung spielt eine Rolle im Strafrecht und in den Nebenstrafrechten, wo es durchaus verboten ist, einen Fluss zu vergiften. Dann gibt es auch eine Busse.

Aber wenn jemand beispielsweise eine andere Person vergiftet, dann würde diese sich nicht damit zufriedengeben, wenn der Täter lediglich eine Geldstrafe bekommt.

Sie könnte dann sagen, dass sie in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt wurde, und verlangen, dass der Täter für den erlittenen Schaden aufkommt, durch die Übernahme der Arztkosten etwa.

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Aktuell kann die Reuss vor Gericht nicht für seine Interessen einstehen, sagt Markus Schärli. - zVg / Verein Rechtsperson Reuss

Natürlich kommt die Bestrafung bei solchen Delikten hinzu – diese ist jedoch bei nicht-menschlichen Wesen deutlich geringer als bei Menschen. Dazu kommt das mangelnde Klagerecht, wenn man keine Rechtsperson ist – das sind massive Unterschiede. Die Interessen von Unternehmen werden bei solchen Konflikten schlicht übermässig gewichtet. Zentral geht es darum, die eigenen Interessen im Rechtssystem durchsetzen zu können.

Nau.ch: Wie würde die Reuss in der Praxis dann ihr Recht durchsetzen? Das kann sie ja weiterhin nicht selber.

Schärli: Es gibt da verschiedene Lösungen, die diskutiert werden. Es ist nicht so, dass ich der Erste bin, der eine solche Idee hat. Teilweise wird das auch schon umgesetzt. Meine Idee wären Organe, so könnte man von etwas profitieren, das es bereits im Rechtssystem gibt.

Unternehmen haben Organe, die Entscheide fällen und die Verantwortung tragen. Dieses System sowie Mechanismen, wie diese Organe kontrolliert werden können, sind bekannt – damit sie nicht plötzlich im eigenen Interesse handeln. So kontrolliert beispielsweise die Finma die Organe der Banken. Daher finde ich das eine gute Option.

In anderen Ländern wird beispielsweise anstelle eines Organs eine Lösung mit einer Volksgruppe angewendet. Weil das Volk, das seit Jahrtausenden am Whanganui-Fluss in Neuseeland wohnt, sich nicht vorstellen konnte, Eigentümerin des Flusses zu sein, hat die Regierung dem Fluss die Rechtspersönlichkeit gegeben, welche dieses Volk vertritt.

Das ist kein gewähltes Organ, sondern das Volk, das sich organisiert und dann diese Entscheidungsprozesse durchführt. In erster Linie geht es mir mit meiner Initiative jedoch darum, überhaupt einmal die Anerkennung zu bekommen, dass auch Naturwesen eine Rechtspersönlichkeit und Grundrechte brauchen, um in unserem Rechtssystem nicht unterzugehen.

Nau.ch: Wen würde diese Gesetzesänderung am meisten betreffen?

Schärli: All jene, die von diesem Fluss im Übermass profitieren und keine Gegenleistung erbringen.

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Der Fluss Reuss verläuft durch die Kantone Luzern, Uri, Zug, Zürich und Aargau. - zVg / Verein Rechtsperson Reuss

Denn heute ist es oft so, dass Menschen oder Unternehmen, welche die Natur schädigen, eine einfache Kosten/Nutzen-Rechnung machen: Wie hoch ist der Nutzen für mich und wie hoch ist die Busse – und die Gefahr, erwischt zu werden. Wenn der Nutzen höher ist als die erwartete Busse, dann wird von einigen skrupellos verschmutzt.

Nau.ch: Sie haben ursprünglich geplant, ab Frühjahr Ihre Initiative zu lancieren und 5000 Unterschriften zu sammeln. Steht dieser Zeitplan noch?

Schärli: Für mich ist es zentral, dass ich zuerst finanziell, aber auch von Organisationen, die Unterstützung bekomme, um auf jeden Fall die 5000 Unterschriften zu schaffen. Es würde dem Projekt definitiv schaden, wenn das nicht erreicht wird. Ich wollte die Initiative im Frühling starten, weil es sinnvoller ist, über den Sommer Unterschriften zu sammeln anstatt im Winter.

Sollte der Fluss Reuss eine Rechtspersönlichkeit zugesprochen bekommen?

Jedoch setze ich mich nicht unter Druck. Wenn ich bis zum Frühjahr die Unterstützung nicht habe, verschiebe ich das einfach um ein Jahr. Die weitere Frage wäre dann noch, ob man den Abstimmungskampf gewinnen kann. Aber es wäre schon viel dadurch erreicht, wenn es zumindest mal eine ernsthafte Diskussion über das Thema geben würde.

Nau.ch: Haben Sie aus der Öffentlichkeit schon Feedback zu ihrem Vorhaben bekommen?

Schärli: Man sieht es in Kommentarspalten online etwa. Persönlich bekomme ich eher positives Feedback. In den Zeitungen liest man jedoch auch von Leuten, die sich wahrscheinlich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt haben.

Sie sagen beispielsweise: «Haben wir denn keine anderen Probleme?» oder «Jetzt spinnen sie komplett!» Entsprechend gibt es aber auch Menschen, die das für eine gute Idee halten und sich freuen, dass sich endlich jemand dieser Thematik annimmt.

Nau.ch: Als wie realistisch schätzen Sie Ihr Vorhaben ein?

Schärli: Wenn die Frage sich auf eine lange Frist bezieht, dann schätze ich es als sehr realistisch ein. Da würde ich 80 oder 90 Prozent sagen, weil es das woanders auch schon gibt. Ob ich das jedoch noch erleben werde und es schon mit dieser Abstimmung klappt, das ist eine andere Frage. Wenn man als Verein klein ist, muss man sich auf etwas Kleines konzentrieren, deshalb fokussieren wir uns auf einen Fluss in einem Kanton.

Fairerweise muss man sagen, dass viele Gesetze im Bereich Umweltschutz auf Bundesebene erlassen wurden. Diese können auf kantonaler Ebene nicht ausgehebelt werden. Es muss sich erstmal eine grössere Bewegung bilden, damit auf Bundesebene letztlich etwas passieren kann. Für viele sind diese Ideen noch sehr exotisch, aber ich glaube, das wird sich mit der Zeit ändern.

Ich hoffe, dass wir in 50 Jahren einen ganz anderen Umgang mit der Natur pflegen. Das ist eine Katastrophe für mich, wie man mit nicht-menschlichen Lebewesen umgeht – es ist eigentlich barbarisch. Und irgendwann wird man sich sagen, «Wie konnte das sein?»

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