Frau verloren: So trotzt 84-Jähriger der Weihnachts-Einsamkeit
In der stillen Weihnachtszeit kämpfen viele ältere Menschen mit Einsamkeit. Peter von Ballmoos (84) zeigt im Video-Interview, dass es auch anders geht.
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Das Wichtigste in Kürze
- Jede vierte Person im Alter fühlt sich einsam.
- Angebote wie ein Plaudertelefon für Senioren werden während der Weihnachtszeit überrannt.
- Für den 84-jährigen Peter von Ballmoos ist Einsamkeit hingegen ein Fremdwort.
- Und das, obwohl er vor sechs Jahren seine demenzkranke Frau verlor.
- Indem er sich aktiv hält und Kontakte pflegt, beugt er der Einsamkeit vor.
Schon beim Eintreten wird klar: Bücher gehören hier zum Alltag. Sie liegen auf Tischen, stapeln sich in Regalen, stehen griffbereit neben dem Sessel.
Peter von Ballmoos wirkt belesen, aufmerksam, reflektiert – jemand, der sich Gedanken macht und ihnen Raum gibt.
2019 verlor der pensionierte Gärtner seine demenzkranke Frau Rosmarie.
Nau.ch trifft den 84-Jährigen in seinem Zuhause in Stein am Rhein im Kanton Schaffhausen. Dort lebt der gebürtige Berner seit über 20 Jahren, schon zuvor war die Ostschweiz seine Heimat. Sein breites Berndeutsch hat er sich in all den Jahren bewahrt.
Er sitzt in seinem Sessel in der Stube, erzählt, lacht, schweift manchmal aus – und macht dabei eines sofort deutlich: «Ich bin nicht einsam.»
84-Jähriger profitiert von seiner Lebenserfahrung
Er besucht regelmässig Literaturkurse, trifft alte Sportfreunde, telefoniert mit Wegbegleitern und pflegt tiefe Freundschaften. Seine Lebensgeschichte zeigt, wie sehr Engagement, Austausch und bewusste Entscheidungen ein Leben erfüllen können.
Gerade in der Weihnachtszeit, wenn Ruhe und Besinnlichkeit viel Raum einnehmen, wird deutlich, wie wichtig solche Begegnungen sind.
Seine Erfahrung kann Inspiration sein: Nähe und Austausch lassen sich auch in schwierigen Zeiten gestalten.
Schon kurze Begegnungen oder ein kleines Gespräch können den Alltag bereichern. Gerade in Momenten, in denen die Stille besonders spürbar wird, sind solche Kontakte wichtig.
Denn: Gerade an diesen Tagen, wenn überall Lichter und Stimmen sind, wirkt die Stille für viele noch lauter. Laut dem Schweizer Altersmonitor fühlt sich nämlich jede vierte Person über 55 Jahre einsam.
Dabei zeigen sich die Gefühle auf unterschiedliche Weise: Manche Menschen vermissen enge, vertraute Beziehungen, andere haben einfach zu wenige Kontakte im Alltag.
«Manchen ist die Weihnachtszeit schlicht zu viel», sagt Eve Bino im Gespräch mit Nau.ch. «Wir hören oft Sätze wie: Eigentlich bin ich froh, wenn diese Tage vorbei sind.»

Sie ist Co-Gründerin von «malreden», einem telefonischen Gesprächsangebot für ältere Menschen, das in der ganzen Deutschschweiz erreichbar ist.
Täglich zwischen neun Uhr morgens und acht Uhr abends kann man dort anrufen – anonym, kostenlos und vertraulich. «Unsere Freiwilligen hören zu, zeigen Interesse – auch für die kleinen Dinge, die im Alltag fehlen.»
Weihnachtszeit ist für Einsame schmerzhaft
Gerade im Dezember steigen die Anrufe spürbar an. «Es ist die Zeit, in der der gesellschaftliche Druck des Zusammenseins am grössten empfunden wird», sagt Eve Bino.
«Überall sieht man Bilder von Feiern, Gemeinschaft, Verbundenheit. Wenn man diese Verbundenheit selbst nicht hat, ist das schmerzhaft.»
Viele der Anruferinnen und Anrufer leben allein, manche haben einen Partner oder eine Partnerin verloren. Andere verfügen schlicht über zu wenige Gesprächspartner im Alltag.
Einsamkeit, sagt die «malreden»-Co-Gründerin, sei oft mit Scham behaftet. «Dabei sind Einsamkeitsgefühle auch etwas ganz Normales. Sie zeigt uns, dass wir Gesellschaft brauchen, dass wir soziale Wesen sind.»
«Einsamkeit heisst ja nicht, dass man keine Ressourcen hat. Jeder Mensch hat sie – manchmal braucht es einfach ein niedrigschwelliges Angebot, um sie wieder zu spüren.»
Ein Beispiel dafür ist Peter von Ballmoos. Vor fünf Jahren verlor er seine Frau Rosmarie. Und obwohl dies eine schwere Zeit war, beschreibt er sich selbst nicht als einsam.
Der Austausch war ihm immer wichtig: Zunächst wandte er sich ans Sorgentelefon. Doch die Gespräche wurden immer wieder unterbrochen, jedes Mal mit einer anderen Ansprechpartnerin.
Drei Jahre telefoniert mit Frau – «öpper ganz Liebs»
Er wünschte sich Kontinuität, längere Gespräche mit derselben Person. Nebst den spontanen Gesprächen am Alltagstelefon besteht die Möglichkeit, in einem Gesprächstandem regelmässig mit einer Freiwilligen von «malreden» zu telefonieren.
So sprach er über drei Jahre hinweg jede Woche mit derselben Frau. «Ganz, ganz öpper Liebs», erinnert er sich.
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Die Frau am Hörer nahm sich Zeit für Peter von Ballmoos. «Das war eine absolute Bereicherung.» Sie redeten «über Gott und die Welt», über Politik und Spitzensport.
Als seine Frau Rosmarie starb, war Peter von Ballmoos jeden Tag an ihrer Seite. Stundenlang sass er an ihrem Bett im Pflegeheim, sprach mit ihr, hielt ihre Hand. Er blieb, wenn viele andere längst nach Hause gegangen waren.
«Ich habe zu viel gesehen. Ich habe zu viel gehört. Wenn man sieben, acht Stunden oben ist, dann sieht man halt alles.»
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Für ihn war das keine Pflicht, sondern Ausdruck von Liebe und Treue – und eine Lektion in Realität. «Ich wusste, Es ist eine komplett andere Situation, eine neue Herausforderung. Und dann habe ich mich gestellt.»
«Habe mich nie als einsam empfunden»
Nach ihrem Tod trat die Stille ein. «Natürlich gab es traurige Momente», erinnert er sich. Mit der Zeit wurde ihm das Geschehene immer bewusster. Und zugleich wuchs seine Dankbarkeit für all das, was sie gemeinsam erleben durften.
Der 84-Jährige betont: «Ich habe mich eigentlich nie als einsam empfunden.» Entscheidend sei, wie man sein Leben gestalte und ausfülle.
«Die Frage ist: Was macht man aus dem Leben?»
Dabei war sein Weg alles andere als geradlinig. Aufgewachsen im Speckgürtel von Bern, lernte er früh, was harte Arbeit bedeutet.
Nach der Schule schickten ihn die Eltern für ein Jahr ins Welschland. Dort arbeitete er in einem Winzerbetrieb im waadtländischen Lavaux von früh bis spät mit.
Zurück in der Deutschschweiz entschied er sich gegen den Willen des Vaters für eine Gärtnerlehre. Anerkennung gab es selten. Doch genau diese Jahre hätten ihn «geformt und abgehärtet».
«Wenn es im Kopf stimmt, dann stimmt es»
Parallel dazu fand er im Sport eine zweite Heimat. Im Stadtturnverein Bern (STB) entwickelte er sich zum Langstrecken- und Marathonläufer. Selbst nach einem ganzen Arbeitstag fand der Botanikbegeisterte noch Energie, sich im Spitzensport auszutoben.
Kameradschaft, Konsequenz und mentale Stärke prägten ihn nachhaltig. «Mein Grundsatz: Wenn es im Kopf stimmt, dann stimmt es. Das ist die Hauptsache», sagt er.
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Der Spitzensport öffnete ihm Türen: Länderkämpfe, Marathons, Reisen nach Prag, Griechenland und England – und vor allem Freundschaften, die bis heute halten.
Diese Netzwerke trugen ihn auch durch Krisen. Aus der Gärtnerei wechselte er später in andere Funktionen, unter anderem als verantwortlicher Gärtner in einem Spital.
Der pensionierte Gärtner und Spitzensportler erlebte Kündigungen, gesundheitliche Rückschläge und eine schmerzhafte Trennung nach jahrzehntelanger Ehe mit seiner ersten Frau.
Plötzlich stand er allein da. Er musste sich neu erfinden, indem er weiterarbeitete, wieder zu laufen begann und Beziehungen pflegte, statt sich zurückzuziehen.
«War jeden Tag bis zu acht Stunden im Pflegeheim bei meiner Frau»
Später lernte er Rosmarie kennen, die zweite grosse Liebe seines Lebens. Die beiden reisten viel, diskutierten, besuchten Konzerte und genossen die gemeinsamen Jahre. Bis sich bei ihr die ersten Anzeichen von Demenz zeigten.
Als Rosmarie ins Pflegeheim kam, stellte Peter von Ballmoos sein Leben erneut um. «Ich war jeden Tag sieben bis acht Stunden oben im Heim.» Er sass an ihrem Bett, ging mit ihr spazieren und regelte Organisatorisches.

Halt fand er auch in seinem Glauben. Schon als Kind kam er durch seine Mutter mit Kirche und Sonntagsschule in Kontakt. Später begegnete er geistlichen Bezugspersonen, die ihn ernst nahmen und begleiteten.
Bis heute besucht er Gottesdienste, pflegt eine enge Freundschaft zu einer Pfarrerin.
Frau entkam der Corona-Pandemie
Und er spricht davon, dass «der liebe Gott im richtigen Moment richtig entschieden» habe, als Rosmarie sterben durfte. Nur wenige Monate danach brach die Corona-Pandemie über die Schweiz. Er hätte seine Frau nicht mehr besuchen können.
Gespräche, Engagement und die bewusste Entscheidung, das Leben aktiv zu gestalten, gehören für ihn dazu. Alles mit einer grossen Prise Dankbarkeit.
Seinen Mitmenschen möchte Peter von Ballmoos genau das mit auf den Weg geben: Offen zu bleiben, neugierig zu bleiben und die kleinen Begegnungen im Alltag zu schätzen.
Gespräche, Austausch und Haltung halten das Leben lebendig. Manchmal genügt ein einziger Anruf, um einen Tag zu bereichern, sei es mitten im Alltag oder in der stillen Weihnachtszeit.
Fühlst du dich einsam oder möchtest du einfach mal reden?
Das telefonische Gesprächsangebot «malreden» ist täglich von 9 – 20h unter der kostenlosen Nummer 0800 890 890 erreichbar. Weitere Informationen unter: www.malreden.ch. Auch an den Festtagen ist das Angebot erreichbar.













