Boom: Frauen wollen «untenrum» grösser werden
Viele Frauen lassen sich an den Schamlippen herumschnipseln – aber nicht nur. Auch Vergrösserungen sind gefragt. Und das immer mehr. Was dahintersteckt.

Das Wichtigste in Kürze
- Beauty-Eingriffe boomen – auch untenrum.
- Was erstaunen mag: Viele Frauen wollen nicht kürzere Schamlippen, sondern grössere.
- Das sei zuletzt immer beliebter geworden. Eine Rolle spielt der Rasur-Trend.
Seit Jahren sorgen Schamlippenverkleinerungen immer mal wieder für Aufsehen. «Es wird in der Gesellschaft so schlechtgeredet», störte sich der Luzerner Schönheitschirurg Jürg Häcki kürzlich in einem SRF-Dokfilm.
«Wenn es einmal in den Medien kommt, wird es immer verrissen.» Gerade unter Frauen sei es ein grosses Tabuthema. «Die, die das nicht haben, können das nicht verstehen und sind total dagegen.»
Bei Verkleinerungen geht es meist um die inneren Schamlippen. Betroffene stört es, wenn sie länger sind als die äusseren – und das teils auch im Bikini sichtbar ist.
Laut Häcki für seine Patientinnen ein riesiger Leidensdruck.
Doch was auf den ersten Blick erstaunen mag: nicht nur kleiner wird gewünscht – sondern auch grösser.
Arzt: Zürcherinnen lassen sich Schamlippen am häufigsten vergrössern
«Schamlippenvergrösserungen sind ein Trend», sagt Arzt Nikolaus Linde zu Nau.ch. «Und das schon lange.»
Der Spezialist für ästhetische Medizin führt die Beautyclinic, die Geschäftsstellen in Zürich, Winterthur, St. Gallen und Chur hat. Er bietet den Eingriff seit rund 20 Jahren an.
Linde stellt fest, dass die Nachfrage in den letzten Jahren gestiegen ist. Pro Jahr führt er derzeit 20 bis 30 solche Eingriffe durch – die meisten davon in Zürich. «Aber auch in Chur, Winterthur und St. Gallen.»
«Einklemmen in der Kleidung»
Eine Erklärung für die zunehmende Beliebtheit der Schamlippenvergrösserung: «Dadurch, dass fast alle Frauen untenrum rasiert sind, kann frau nichts mehr verstecken.»
Anders als bei der Verkleinerung sind bei der Vergrösserung die äusseren Schamlippen betroffen.
Linde betont: «Bei der Schamlippenvergrösserung geht es nicht darum, irgendetwas einfach zu vergrössern.» Es gehe um ein «harmonischeres Gesamtbild».
Ärztin Martina Schneider von der Zürcher Clinic Utoquai, die auf weibliche Intimchirurgie spezialisiert ist, ergänzt bei Nau.ch: «Die inneren und äusseren Schamlippen bilden zusammen eine Einheit. Im Idealfall umschliessen die äusseren Schamlippen die inneren Schamlippen sowie die Klitoris inklusive Klitorismantel.»
Es komme jedoch vor, dass die inneren Schamlippen länger sind als die äusseren. Das kann für die betroffenen Patientinnen funktionelle Beschwerden mit sich bringen.
Schneider listet auf: «Einklemmen in der Kleidung oder Wundreiben, beispielsweise beim Sport.» Es störe aber auch viele Frauen ästhetisch.
Schamlippen altern mit
Wie Schneider erklärt, wachsen die inneren Schamlippen hauptsächlich in der Pubertät. Die äusseren Schamlippen verändern sich jedoch auch später noch.
«Sie verlieren im Verlaufe der Jahre an Volumen. Man geht davon aus, dass vor allem durch Schwangerschaften eine Rückbildung des Fettgewebes ausgelöst wird», sagt die Ärztin.
Es hätten praktisch alle Frauen ab einem gewissen Alter einen Volumenverlust der äusseren Schamlippen.
Die Folge: «Die inneren Schamlippen sind im Vergleich zu den äusseren Schamlippen plötzlich grösser.»
Für ein harmonisches Ergebnis brauche es darum häufig nicht nur eine Verkleinerung der inneren Schamlippen. Sondern auch eine Vergrösserung der äusseren.
«Man kann natürlich auch nur die äusseren Schamlippen auffüllen, um ihnen ein jüngeres Aussehen zu verleihen.»
Sogar Schamhügel lässt sich «korrigieren»
Dazu gibt es laut Schneider zwei Möglichkeiten. «Entweder wird der Patientin Eigenfett oder Hyaluronsäure unterspritzt.»
Proportionen seien ihr wichtiger als die absolute Grösse. «Deshalb habe ich, seit ich mich mit diesem Thema beschäftige, auch die Vergrösserung der äusseren Schamlippen angeboten.»
Die Zunahme der Nachfrage, die sie feststellt, scheint ihr darum konstant mit der allgemeinen Zunahme der ästhetischen Genitalchirurgie.

Sie führe ungefähr bei 35 bis 50 Prozent der Patientinnen mit einer Verkleinerung auch eine Volumisierung der äusseren Schamlippen durch.
Bei der Beurteilung wird auch der Schamhügel zur ästhetischen Einheit des Intimbereichs berücksichtigt.
«Es gibt auch Patientinnen mit einem sehr voluminösen Schamhügel und leeren äusseren Schamlippen. Auch hier würde man beides korrigieren. Diese Fälle sind jedoch deutlich seltener.»
Ethiker übt Kritik
Auch, wenn die Branche betont, Betroffenen durch die Eingriffe einen Leidensdruck zu nehmen – es gibt auch Kritik.
Medizinethiker Jürg Streuli von der Stiftung Gesundheitskompass, der selbst Arzt ist, sagt zu Nau.ch: «Dass sich Frauen selbst in so intimen Körperregionen an einem Ideal messen, zeigt, wie stark kulturelle Schönheitsvorstellungen verinnerlicht werden können.»

Aus ethischer Sicht sei das Ganze widersprüchlich. Denn: «Einerseits ist der Wunsch, sich im eigenen Körper wohlzufühlen, legitim.» Es sei auch ein Ausdruck von Selbstbestimmung.
Andererseits werde diese Selbstbestimmung oft von gesellschaftlichen Zwängen überlagert. Die Folge: Man entscheidet sich nicht aus freier Überzeugung, sondern aus Druck für den Eingriff.
Und Druck kommt laut Streuli von verschiedenen Seiten. Etwa von der medialen Darstellung von Genitalien – meist in Pornos – oder der Sexualisierung weiblicher Körper in der Popkultur.
«Verzerrtes Bild von Normalität»
Streuli kritisiert auch, dass in diesem Zusammenhang von einem «Idealfall» die Rede ist.
«Der Begriff ist aus ethischer Sicht heikel. Besonders im medizinischen Kontext», sagt der Ethiker. Er suggeriere, dass eine Norm existiert – was davon abweicht, werde so indirekt als Mangel bezeichnet.
«Gerade bei Körperformen, die natürlicherweise stark variieren, kann dies ein verzerrtes Bild von Normalität erzeugen.»
Ärztinnen und Ärzte sollten sich laut Streuli zudem bewusst sein, dass «sie mitprägen, was als schön gilt». Darum sei eine sensible Sprache und offene Haltung zentral.
«Selbstakzeptanz» statt Skalpell
Um sich möglichst ethisch zu verhalten, rät Jürg Streuli Chirurginnen und Chirurgen, vor jedem Schamlippen-Eingriff sorgfältige Abklärungen durchzuführen.
Zum Beispiel das Motiv der Patientin: «Ist der Wunsch nach Veränderung Ausdruck einer freien Entscheidung? Oder ein Versuch, gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden?»

Wichtig sei auch zu prüfen, ob es Anzeichen für eine Körperdysmorphiestörung gebe. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, bei der sich Betroffene übermässig auf einen eingebildeten oder leichten Makel fokussieren.
Er rät zudem, «Alternativen zu besprechen. Zum Beispiel Akzeptanzstrategien oder psychologische Unterstützung.» Es lohne sich auch, schlicht einen Blick auf die Vielfalt der Vulven zu ermöglichen.
Für ihn ist klar: «Der Weg zu einem positiven Umgang mit dem eigenen Körper führt nicht primär über das Skalpell.» Viel wichtiger sei «Selbstakzeptanz».