Baumarkt führt «Stille Stunde» ein – Autisten loben

Anna Baumert
Anna Baumert

Knonaueramt,

In zwei Hornbach-Filialen wurden sogenannte «Stille Stunden» ohne Musik und Durchsagen eingeführt. Autismus Schweiz fordert, dass mehr Detailhändler nachziehen.

Hornbach
In den Hornbach-Filialen in Affoltern am Albis ZH und Sirnach TG wurden «Stille Stunden» eingeführt. (Archiv) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In zwei Schweizer Hornbach-Filialen gibt es neuerdings «Stille Stunden».
  • Das wird von Mitgliedern von Autismus Schweiz «sehr geschätzt».
  • Nau.ch hat nachgefragt, ob andere Detailhändler diese Massnahme prüfen.

Es ist Alltag im Supermarkt: Musik schallt, unterbrochen von Durchsagen, aus Lautsprechern, das Licht ist grell und die Kasse piept ständig.

Was für viele höchstens ein bisschen nervig ist, kann für Menschen im Autismus-Spektrum zur Belastungsprobe werden. Die Vielzahl an Reizen führt zu Überforderung und Stress.

Der Baumarkt Hornbach hat deshalb kürzlich an zwei Standorten eine sogenannte «Stille Stunde» eingeführt.

Heisst: Jeden zweiten Mittwoch im Monat gibt es von 11 bis 13 Uhr keine Ladendurchsagen und keine Musik.

Kunden loben «ruhigere Einkaufatmosphäre» im Hornbach

Hornbach-Sprecher Reto Kaspar erklärt: «Der Vorschlag zur Einführung der ‹Stillen Stunde› stammt aus den Reihen unserer Mitarbeitenden im Markt Affoltern am Albis.» Diese hätten das Konzept aus dem persönlichen Umfeld durch Menschen mit Autismus gekannt.

«Das Marktleitungsteam hat den Vorschlag diskutiert und entschieden, die Idee zu testen», so Kaspar. Auch das Team in Sirnach TG habe sich daraufhin entschieden, die «Stille Stunde» einzuführen.

Hornbach
Der Baumarkt Hornbach hat in zwei Filialen in der Schweiz sogenannte «Stille Stunden» eingeführt. (Archiv) - keystone

In den beiden Märkten habe man schon etliche Rückmeldungen dazu erhalten: «Besonders ältere Kunden und auch Menschen im Autismus-Spektrum schätzen die ‹Stille Stunde›», sagt Kaspar.

Während dieser wird die Beleuchtung gedimmt, die Hintergrundmusik und Ladendurchsagen abgeschaltet und die Arbeit mit Staplern unterbrochen.

Kanntest du das Konzept der «Stillen Stunde» bereits?

Diese Reizreduktion werde von vielen gelobt. «Auch die insgesamt ruhigere Einkaufsatmosphäre wird positiv erwähnt», erklärt der Hornbach-Sprecher.

Aktuell prüfe man das Konzept auch an anderen Standorten, eine Ausweitung sei jedoch noch nicht entschieden.

Die «Stillen Stunden» entstanden in einer Kooperation mit Autismus Schweiz. Hornbach hatte sich in diesem Zusammenhang im Jahr 2023 bei der Organisation gemeldet.

Autismus Schweiz: «Stille Stunden» werden «sehr geschätzt»

«Wir schätzen die wirkungsvolle Kooperation mit Hornbach sehr», sagt Leonie Seebohm von Autismus Schweiz.

«‹Stille Stunden› mit reduzierten Reizen ermöglichen es Betroffenen, Besorgungen selbstständig und stressfreier zu erledigen. So wird eine Tätigkeit, die für viele Leute selbstverständlich ist, möglich.»

Hornbach sei der erste Baumarkt in der Schweiz, der ein entspanntes Einkaufserlebnis mit reduzierten Reizen im Bau- und Gartenbereich ermögliche.

Seebohm sagt: «Wir wissen von unseren Mitgliedern, dass das Angebot sehr geschätzt wird und für sie einen bedeutenden Unterschied macht.»

Das Konzept der «Stillen Stunde» ist nicht komplett neu: Seit 2020 gibt es diese in 14 Spar-Supermärkten in Zürich und Umgebung.

«Wir setzen uns aktiv dafür ein, dass weitere Unternehmen in der Schweiz das Angebot einführen», sagt Seebohm. «Dazu waren wir in den letzten Jahren mit einigen Detailhändlern in der Schweiz in Kontakt, leider bisher erfolglos.»

Man werde aber dranbleiben. In anderen Ländern seien «Stille Stunden» bereits ein selbstverständliches Angebot.

Die Forderung an den Detailhandel: «Die Bedürfnisse von Menschen im Autismus-Spektrum oder mit anderen unsichtbaren Herausforderungen sollten stärker berücksichtigt und ‹Stille Stunden› breitflächig eingeführt werden.»

Doch warum werden hierzulande nicht mehr «Stille Stunden» eingeführt? Nau.ch hat bei mehreren Detailhändlern nachgefragt.

Coop kann Lautstärke «entsprechend justieren»

Von der Coop-Medienstelle heisst es, derzeit seien keine entsprechenden Projekte geplant. Aber: «Wir haben den Verein Autismus Deutsche Schweiz bei anderen Projekten finanziell unterstützt.»

Zudem sei es wichtig, dass die Musik von der Kundschaft nicht als störend empfunden werde. «Wir achten darauf, dass die Musik dezent im Hintergrund gespielt wird. Unser Verkaufspersonal ist entsprechend darauf sensibilisiert», erklärt eine Sprecherin.

Coop erhalte «praktisch keine Reklamationen». Wenn dies jedoch vorkomme, könne man «die Lautstärke entsprechend justieren».

Einige Migros-Filialen spielen keine Musik

Ähnlich tönt es vom orangen Riesen: «Die Migros legt grossen Wert darauf, allen Kundinnen und Kunden ein angenehmes und unterstützendes Einkaufserlebnis zu bieten.»

Das Personal stehe «jederzeit bereit, um bei Fragen oder Anliegen zu helfen. Und sicherzustellen, dass sich alle Kundinnen und Kunden gut betreut fühlen».

Migros
In der Migros werden in stark frequentierten Bereichen Schallschutzelemente eingesetzt. - keystone

Die Gestaltung der Filialen sowie die Atmosphäre werde laufend überprüft und an die Bedürfnisse vor Ort angepasst.

«Dabei gibt es Unterschiede zwischen den Standorten, beispielsweise in Bezug auf die Hintergrundmusik», erklärt ein Migros-Sprecher.

«Einige Filialen verzichten vollständig auf Musik. Um die Geräuschkulisse in stark frequentierten Bereichen wie der Kassenzone zu optimieren, werden zudem Schallschutzelemente eingesetzt.»

Hinweise zur Lautstärke im Mediamarkt «Ausnahmefälle»

Im Mediamarkt gibt es derweil keine konkreten Überlegungen zur Einführung einer «Stillen Stunde», wie Sprecherin Juliana Herriger-Bon erklärt.

«Wir sind uns jedoch bewusst, dass Kundinnen und Kunden unterschiedliche Bedürfnisse haben, insbesondere Menschen mit einer empfindlicheren Wahrnehmung. Entsprechend achten wir darauf, die Lautstärke im Store bei Bedarf anzupassen», so Herriger-Bon.

Mediamarkt
Nur selten weisen Mediamarkt-Kundinnen und -Kunden die Mitarbeitenden auf die Lautstärke hin. (Archiv) - keystone

In den Märkten stünden sogenannte Welcome-Manager zur Verfügung, die Kundinnen und Kunden beim Eintritt begrüssen.

«In diesem Rahmen können besondere Bedürfnisse unmittelbar angesprochen und, soweit möglich, direkt berücksichtigt werden», sagt die Mediamarkt-Sprecherin.

Weiter hält sie fest: «Hinweise zur Lautstärke in unseren Stores erreichen uns nur in Ausnahmefällen.»

In solchen Fällen reagiere man zeitnah und passe die Rahmenbedingungen entsprechend an.

Im Rahmen der regelmässigen Kundenzufriedenheitsbefragung spiele das Thema Lautstärke aber «bislang eine untergeordnete Rolle».

Ikea prüft «Stille Stunden»

Anders tönt es bei Ikea: «Die ‹Stille Stunde› prüfen wir tatsächlich, in unseren Einrichtungshäusern in der Schweiz einzuführen.»

Diese «Quiet Hours» gebe es bereits vorerst im Ikea-Einrichtungshaus in Grancia TI jeden Mittwoch von 16 bis 18.30 Uhr.

Ikea
Ikea prüft, in den Schweizer Filialen «Stille Stunden» einzuführen. - keystone

Heisst: «In diesem Zeitraum verzichten wir auf Musik und Sprachdurchsagen sowie auf den Einsatz von mechanischen Geräten, die störend sein könnten.»

Ziel sei es, die Geräuschbelastung zu reduzieren und besonders geräuschempfindlichen Menschen ein entspanntes Einkaufserlebnis zu ermöglichen.

Warst du schon mal in einem Laden, in dem es «Stille Stunden» gibt?

Aktuell laufe daher eine Phase, in der man Kundenrückmeldungen und Erfahrungen mit dieser Art der «Stillen Stunde» sammeln wolle.

«Im Anschluss ist eine Ausweitung auf weitere Standorte und ebenso die Einführung weiterer Massnahmen angedacht», sagt Ikea-Sprecherin Stefanie Brehm.

Kommentare

User #3925 (nicht angemeldet)

Das WHO-Gesetz ist schon verabschiedet. Darin "heisst es in Artikel 2: Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, des Brief- und Postgeheimnisses sowie der Freizügigkeit werden mit diesem Gesetz „eingeschränkt“...

User #9468 (nicht angemeldet)

Am Besten gleich noch geräuschlose Hämmer und Maschinen ins Angebot nehmen.

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