Der US-amerikanische Altmeister Don DeLillo legt mit seinem neuen Buch «Die Stille» ein im besten Sinn irritierendes Kammerspiel vor. Wie der Titel ankündigt, lässt er alle technologischen Systeme verstummen.
Limmat Verlag
Ein Stapel Bücher. (Symbolbild) - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Kein Strom, kein Fernsehen, keine mobilen Kommunikationsmittel, keine Computer, kein Licht, totaler Zusammenbruch aller Systeme - es herrscht globale Stille.
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«Was machen die Leute, die in ihrem Telefon leben?»

Der 83-jährige Autor DeLillo, als einer der wichtigsten Vertreter der postmodernen Literatur jährlich ein heisser Kandidat für den Nobelpreis, hat mit seinem 17. Roman ein bedrückendes, mitunter rätselhaftes Kammerspiel verfasst.

DeLillo, ohnehin ein Meister der Verdichtung, kommt diesmal mit knapp 100 Seiten Text aus. Vieles lässt sich erst durch intensivere Beschäftigung mit dem Geschriebenen herausfinden oder nur interpretieren. Vieles bleibt kryptisch, etwa wenn die Figuren Sätze wie «Die Drohnen sind autonom geworden» sagen oder über Einstein philosophieren.

Im Jahr 2022 hat DeLillo «Die Stille» angesiedelt, das Ende naht also, Covid-19 war nur das Vorspiel. Zwei Monate vor der globalen Krise habe er das Buch vollendet, von der Pandemie noch nichts gewusst, informiert der Verlag.

Doch der Autor hatte schon immer ein Gespür für einschneidende Veränderungen. Er thematisierte Terrorismus, Wirtschaftskrisen und Katastrophen - und vor allem, wie sich das auf die Seelen der Menschen auswirkt. «Das Leben kann so interessant sein, dass wir ganz vergessen, Angst zu kriegen», heisst es an einer Stelle in «Die Stille».

Im ersten Teil des Romans sitzen ein Mann und eine Frau, auf dem Rückweg aus Europa in die USA, in einem Flugzeug. Sie wollen nach der Landung zu Freunden, um in deren Wohnung gemeinsam den Super Bowl anzusehen. In Manhattan warten bereits die Physikprofessorin Diane, ihr Mann Max und Martin, ein ehemaliger Schüler, auf die beiden und auf den Anpfiff. Doch plötzlich wird der Bildschirm schwarz. Zeitgleich fallen die kleinen Monitore im Flugzeug aus, die Maschine stürzt beinahe ab.

Einen Katastrophenbericht liefert DeLillo aber nicht, er lässt vieles offen, deutet an. Der Zusammenbruch der technologischen Zivilisation manifestiert sich in den Dialogen, Monologen und Gedanken.

Das Paar überlebt und findet sich in der Wohnung der Freunde in Manhattan ein. Der Roman ändert seine Struktur: Das Kammerspiel wird intensiver und verstörender, die Gespräche und Gedanken noch abstrakter und surrealer. Eine Manifestation der Hilflosigkeit, Sprache und Erzählweise passen sich der Auflösung der Ordnung an und zerbröseln.

Die Hintergründe bleiben weiter mysteriös, auch nachdem eine der Figuren einen Erkundungsgang nach draussen gewagt hat. Was er da gesehen hat, mag ihn zutiefst erschüttert haben, Bericht davon legt er keinen ab. «Sind wir ein Experiment, das zufällig gerade auseinanderbricht, ein Plan, den Kräfte ausserhalb unserer Kalkulation in Gang gesetzt haben?»

DeLillo wirft messerscharfe Beobachtungen in den Raum. Seine Sätze erfordern Aufmerksamkeit und Reflexion. Das Abstrakte gilt es ins Reale zu transformieren. Gedanken flackern auf. Kleine Gesten beschäftigen den Autor mehr als «das grosse Ganze». Wie seine Figuren versuchen, das Geschehen zu begreifen, ist beängstigender als ein knalliger Weltuntergangsroman. «Die Stille» irritiert - und ganz im Sinn DeLillos, des Meisters postmoderner Literatur, soll sie das auch.

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