Verfassungsgericht mahnt genaue Prüfung beim Recht auf Vergessen im Internet an
Das Recht auf Vergessen im Internet muss auch bei schweren Straftaten wie einem Mord genau geprüft werden.

Das Wichtigste in Kürze
- Verfassungsbeschwerde eines verurteilten Mörders erfolgreich.
Das Bundesverfassungsgericht gab in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss der Verfassungsbeschwerde eines im Jahr 1982 wegen Mordes verurteilten Manns statt, dessen kompletter Name in online verfügbaren Presseartikel auftaucht. Das Gericht mahnte eine genaue Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und Pressefreiheit an. Eine besondere Rolle spielt dabei, wie lange die Tat zurückliegt. (Az. 1 BvR 16/13)
Der Kläger wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er an Bord einer Jacht zwei Menschen erschossen hatte. Wer 37 Jahre später seinen Namen in einer Internetsuchmaschine eingibt, stösst nach wie vor auf kostenlos abrufbare Artikel im Archiv des Magazins «Der Spiegel». Darin wird der vollständige Name des Manns genannt.
Der 2002 aus der Haft entlassene Mann erhob bereits vor Jahren eine Unterlassungsklage dagegen. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies seine Klage im Jahr 2012 allerdings ab, weil der Schutz der Persönlichkeit hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Recht auf freie Meinungsäusserung zurückzutreten habe. Dagegen zog der Mann vor das Bundesverfassungsgericht, das seiner Verfassungsbeschwerde nun statt gab und den Fall an den BGH zurück verwies.
Der Erste Senat des Verfassungsgerichts machte in seinem Beschluss deutlich, dass der zeitliche Abstand zu einer Tat eine zentrale Rolle spiele. In der aktuellen Berichterstattung über Straftaten sei die Namensnennung verurteilter Straftäter grundsätzlich zulässig, doch das berechtigte Informationsinteresse nehme mit der Zeit ab.
Onlinepressearchive können laut dem Karlsruher Beschluss deshalb verpflichtet sein, Schutzvorkehrungen gegen die zeitlich unbegrenzte Verbreitung personenbezogener Berichte durch Internetsuchmaschinen zu treffen. Es sei ein Ausgleich anzustreben, der einen ungehinderten Zugriff auf einen Originaltext möglichst weitgehend erhalte, diesen bei bestehendem Schutzbedarf aber im Einzelfall doch hinreichend begrenze.
Das Verfassungsgericht stellte zugleich klar, dass Betroffene nicht allein über das «Recht auf Vergessenwerden» bestimmen könnten. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folge nicht das Recht, alle früheren personenbezogenen Informationen aus dem Internet löschen zu lassen.
In einem zweiten Beschluss zum Recht auf Vergessen wies der Erste Senat die Verfassungsbeschwerde einer Frau zurück, der in einem Fernsehbeitrag ein unfairer Umgang mit einem gekündigten Mitarbeiter vorgeworfen worden war. Sie wandte sich dagegen, dass bei Internetsuchen ein Link zu einem 2010 in ein Onlinearchiv eingestellten Transkript dieser Sendung angezeigt wurde. Das Oberlandesgericht Celle wies ihre Klage ab. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wertete der Senat als «unbegründet».
FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae begrüsste das Urteil. «Mit der Entscheidung aus Karlsruhe tritt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu Recht vor den geflügelten Grundsatz 'Das Internet vergisst nie'», sagte Thomae der Nachrichtenagentur AFP.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen zeigte sich mit Blick auf die Ausführungen zur Pressefreiheit ebenfalls zufrieden mit dem Urteil. Es sei eine «längst überfällige Klarstellung, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht grundsätzlich schwerer wiegt als das Grundrecht auf Pressefreiheit», erklärte Geschäftsführer Christian Mihr.