Trotz Kritik treibt Russland seine Annexionspläne mit Scheinreferenden im besetzten Teil der Ukraine voran. Auf der UN-Bühne kommt es zum rhetorischen Schlagabtausch. Die Entwicklungen im Überblick.
Charkiw
Ukrainische Soldaten feuern einen Mörser in der kürzlich zurückeroberten Stadt Kupjansk in der Region Charkiw ab. - Kostiantyn Liberov/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • In vier von Russland besetzten ukrainischen Gebieten laufen die letzten Vorbereitungen für Scheinreferenden über einen Beitritt zu Russland.
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Die Abstimmungen unter Kriegsrecht in Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja sollen heute beginnen und sind ohne Chance auf breite internationale Anerkennung.

Mit der von ihr initiierten Teilmobilisierung stösst die Führung in Moskau derweil auch im eigenen Land auf Widerstand, den die Ukraine zusätzlich zu schüren versucht: Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die Russen in seiner täglichen Videobotschaft dazu auf, gegen die Mobilisierung zu protestieren und sich der Einberufung zu entziehen.

«Protestiert! Kämpft! Lauft weg! Oder begebt Euch in ukrainische Kriegsgefangenschaft! Das sind die Varianten für Euch zu überleben», sagte Selenskyj in seiner auf Russisch vorgetragenen Ansprache. Seinen Angaben nach sind bereits 55.000 russische Soldaten in der Ukraine ums Leben gekommen, laut Moskau sind es knapp 6000. Mit einem Appell wandte sich Selenskyj an die Mütter und Ehefrauen der Einberufenen: «Zweifelt nicht daran, dass die Kinder der Führung Eures Staats nicht am Krieg gegen die Ukraine teilnehmen. Diejenigen, die die Entscheidungen in Eurem Land treffen, schützen ihre Kinder. Und Eure Kinder werden nicht einmal beerdigt.»

An die eigenen Landsleute gerichtet erklärte Selenskyj, die Mobilisierung in Russland sei ein Zeichen der Stärke der Ukraine. Mit der Entscheidung werde der Krieg für die Russen nicht mehr nur ein Ereignis aus dem Fernsehen sein, sondern ins reale Leben einziehen. Für die Ukrainer hingegen ändere sich dadurch nichts, sie würden weiter für die Befreiung ihres Landes kämpfen, gab er sich überzeugt. Mit Blick auf die UN-Vollversammlung erklärte der ukrainische Präsident, dass die Ukraine nun von einem noch grösseren Kreis an Staaten der internationalen Gemeinschaft unterstützt werde.

Diplomatischer Schlagabtausch bei den Vereinten Nationen

In New York, wo Selenskyj am Vortag seine Rede vor den Vereinten Nationen gehalten hatte, gingen derweil die verbalen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der vom Westen unterstützten Ukraine weiter. Moskau habe keinerlei Interesse an Friedensgesprächen und «sucht nur nach einer militärischen Lösung», sagte der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba vor dem UN-Sicherheitsrat. Russischen Diplomaten warf er ein «aussergewöhnliches Mass an Lügen» vor. Mit Blick auf den russischen Aussenminister Sergej Lawrow, der den Saal bei dem Treffen zur Ukraine rund 90 Minuten zu spät betreten und dann direkt nach seiner Rede wieder verlassen hatte, sagte Kuleba: «Ich habe heute auch bemerkt, dass russische Diplomaten genauso fliehen wie russische Soldaten.»

Lawrow wiederum warf dem Westen wegen dessen Waffenlieferungen und der Unterstützung für Kiew eine direkte Einmischung in den Krieg vor. «Diese Politik, Russland zu zermürben und zu schwächen, bedeutet die direkte Einmischung des Westens in den Konflikt und macht ihn zu einer Konfliktpartei», sagte Lawrow bei seinem Kurzauftritt in der Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Die Position jener Staaten, «die die Ukraine mit Waffen vollpumpen und ihre Soldaten ausbilden», sei besonders zynisch. Ziel dieser Unterstützung sei offensichtlich, die Kämpfe «trotz der Opfer und der Zerstörung so lange wie möglich hinauszuzögern», sagte Lawrow.

Kreml dementiert höhere Zahlen zu Mobilisierung

Zwar haben in Russland viele Menschen bereits ihren Einberufungsbescheid erhalten. Berichte, wonach gar die Einberufung von bis zu einer Million Reservisten möglich sei, stellte Kremlsprecher Dmitri Peskow jedoch als Lüge dar. Das Internetportal der in Russland inzwischen eingestellten Zeitung «Nowaja Gaseta» schrieb dagegen, Präsident Wladimir Putin habe dem Verteidigungsministerium freie Hand zur Mobilisierung von bis zu einer Million Mann gegeben. Dies stehe in Punkt 7 von Putins Erlass vom Mittwoch. Dieser Punkt fehlte in der Veröffentlichung und war als «Nur für den Dienstgebrauch» eingestuft.

Die aus dem Exil agierende Zeitung berief sich in ihrem Bericht auf angebliche Quellen im russischen Präsidialamt. Peskow selbst hatte am Mittwoch gesagt, dass es im besagten Absatz des Erlasses um die Zahl der Reservisten gehe. Es gelte jedoch, dass 300.000 Mann einberufen werden sollten, wie es Verteidigungsminister Sergej Schoigu angekündigt habe.

Angesichts der vom Kreml verkündeten Mobilisierung versuchen viele junge Männer, sich aus Russland abzusetzen. Zudem gab es in Moskau, Sankt Petersburg und anderen Städten des Landes Proteste gegen den erzwungenen Dienst an der Waffe - und Hunderte Festnahmen.

Der CDU-Aussenpolitiker Norbert Röttgen sieht Putin spätestens mit der Teilmobilmachung auch im eigenen Land massiv unter Druck. «Ich würde sagen, es ist das Stadium erreicht, dass seine Autorität bröckelt», sagte er am Donnerstag in der ZDF-Sendung «maybrit illner». «Er hat jetzt dem eigenen Volk, den jungen Leuten Angst gemacht.» Putins System lasse militärische und politische Schwäche erkennen, was letztlich dazu führen könne, «dass wieder Diplomatie Konflikte regelt und nicht Waffen».

120.000 Wehrpflichtige eingezogen

Neben der Mobilisierung von Reservisten hat Russland auch mit der Einberufung von Rekruten für den gewöhnlichen Wehrdienst begonnen, die einmal pro Halbjahr üblich ist. Diesmal wurden 120 000 Wehrpflichtige eingezogen. «Die zum Wehrdienst einberufenen Bürger werden nicht zur Teilnahme an der militärischen Spezialoperation in der Ukraine herangezogen», versicherte Generalstabs-Vertreter Wladimir Zimljanski. Der Kreml folgt weiter beharrlich seiner Linie, den Krieg offiziell als «militärische Spezialoperation» zu bezeichnen. Zimljanski zufolge werden auch die Wehrpflichtigen, deren Dienstzeit nun endet, entlassen und an ihren Heimatort geschickt. In Russland dauert der reguläre Wehrdienst ein Jahr.

Das wird am Freitag wichtig

In den ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja laufen am Freitag die erzwungenen Abstimmungen über einen Beitritt zu Russland an. Sie sollen bis Dienstag abgeschlossen sein. Allerdings werden dabei grundlegende demokratische Prinzipien missachtet und auch keine unabhängige internationalen Beobachter als Kontrollinstanz zugegen sein.

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