Die Ukraine-Affäre scheint Donald Trump zuzusetzen. Die Demokraten sind elektrisiert. Ihr momentan aussichtsreichster Kandidat Joe Biden stilisiert sich derweil als Anti-Trump. Im Kongress werden schon weitere Schritte zur Amtsenthebung des Präsidenten vorbereitet.
Archivfotos zeigen Donald Trump (l), Präsident der USA, aufgenommen am 05.04.2019, und Joe Biden, damaliger US-Vizepräsident, aufgenommen am 25.08.2016. Foto: Evan Vucci/Anders Wiklund/AP/TT NEWS AGENCY
Archivfotos zeigen Donald Trump (l), Präsident der USA, aufgenommen am 05.04.2019, und Joe Biden, damaliger US-Vizepräsident, aufgenommen am 25.08.2016. Foto: Evan Vucci/Anders Wiklund/AP/TT NEWS AGENCY - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Opposition hat Blut geleckt, der Präsident wirkt angeschlagen.

Inmitten des Sturms, der ihn sein Amt kosten könnte, greift Donald Trump plötzlich zu eher leisen und defensiven Tönen.

Zwar verurteilt er die «Hexenjagd» und die «Boshaftigkeit» der «lügenden» Demokraten sowie der «korrupten Medien», doch seine übliche Angriffslust fehlt. Bei seiner traditionellen Pressekonferenz am Rande der UN-Vollversammlung in New York wirkt Trump niedergeschlagen, fast resigniert. Sein momentan aussichtsreichster Rivale Joe Biden gibt sich derweil staatsmännisch.

Bislang hiess Trumps Krisenmodus immer: Vorwärtsverteidigung. Wenn er angegriffen oder in die Ecke gedrängt wurde, holte er zum Gegenschlag aus. Er schien den Konflikt zu geniessen und sich zu freuen, politische Gegner und Journalisten gleichermassen zu beschimpfen. Seine kampflustigen Pressekonferenzen dauerten oft länger als eine Stunde. Ganz anders am Mittwoch: In nur rund 40 Minuten spult Trump ein Standardprogramm ab und bittet zur Unterstützung Aussenminister Mike Pompeo und Finanzminister Steven Mnuchin auf die Bühne.

«Amtsenthebung dafür?», fragt er in ungläubigem Ton. Er habe doch nur ein «wundervolles Telefongespräch» mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geführt. Von einem Skandal wegen des Versuchs, seinen demokratischen Konkurrenten Biden mit Hilfe ukrainischer Ermittler zu beschädigen, will Trump nichts wissen. Die Demokraten hätten diese «Ente» gezielt in dieser Woche hochkochen lassen, «weil sie von meinen gewaltigen Errungenschaften bei den Vereinten Nationen ablenken wollten», behauptet er. Aus Furcht vor einer weiteren Wahlniederlage wollten ihm die Demokraten etwas anhängen: «Sie können uns nicht an der Wahlurne besiegen.»

Nur wenige Menschen könnten so viel Druck aushalten wie er, sagt Trump mit müder Stimme. Viele Mitarbeiter seiner Regierung seien von der ewigen juristischen Verfolgungsjagd der Demokraten schon zermürbt worden.

Bei den Demokraten hingegen scheinen viele Abgeordnete wie elektrisiert, weil es für Trump nun eng werden könnte. Sie brachten am Dienstag erste Schritte zu einem Amtsenthebungsverfahren auf den Weg. Ausgelöst wurde dieser Schritt letztlich von Trump selbst: Er hatte Selenskyj im Juli in einem Telefonat mehrfach zu Ermittlungen ermuntert, die Biden schaden könnten. Die Sache war vergangene Woche bekanntgeworden, nachdem sich bei der internen Kontrollbehörde der Geheimdienste ein Mitarbeiter wegen Trumps Ukraine-Kontakten beschwert hatte.

Diese - bislang nicht öffentlich gemachte - Beschwerde birgt nach Angaben führender Demokraten erhebliche Sprengkraft. Nach der Einsicht des brisanten Dokuments sagte der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Adam Schiff, die Unterlagen zeigten «ernsthaftes Fehlverhalten». Sein Kollege Eric Swalwell erklärte, die Beschwerde gebe Grund zu akuter Besorgnis.

Womöglich können sich die Amerikaner schon sehr bald selbst ein Bild davon machen: Mehreren Quellen zufolge wurde inzwischen nicht nur die amtliche Geheimhaltung des Dokuments aufgehoben - laut einem CNN-Bericht könnte es vielleicht auch schon am Donnerstag veröffentlicht werden.

Bis zu einer etwaigen Amtsenthebung Trumps ist es in jedem Fall ein langer Weg, die Chancen für seinen Sturz scheinen eher gering. Trump behauptete am Dienstag noch, das Vorgehen der Demokraten würde ihm sogar helfen, die Wahl zu gewinnen. Doch einen Tag später, nach der Veröffentlichung des Protokolls des Gesprächs mit Selenskyj, schien er in der Defensive und versuchte fast verzweifelt, die Aufmerksamkeit auf Bidens angebliches Fehlverhalten zu richten. Er beschimpfte ihn und seinen Sohn Hunter Biden öffentlich als korrupt und forderte, die beiden müssten ihre Ukraine-Geschäfte offenlegen.

Trumps Vorwürfe beziehen sich auf Hunter Bidens frühere Geschäfte in der Ukraine. Sein Vater Joe, damals Vizepräsident der USA, soll ihn mit der Forderung nach der Entlassung eines ukrainischen Staatsanwalts vor Korruptionsermittlungen geschützt haben. Biden ist derzeit der aussichtsreichste Präsidentschaftsbewerber der Demokraten für die Wahl im November 2020 - und weist die Anschuldigungen kategorisch zurück.

Auf Trumps Frontalangriff reagiert Biden staatstragend: Es gehe um ganz Grundsätzliches, warnt er, um die nationale Sicherheit, um die Grundwerte des Landes. Die immer neuen persönlichen Attacken des Republikaners kontert Biden stoisch, indem er Trumps Politik in Mitteilungen, Tweets und Stellungnahmen inhaltlich kritisiert. Zur Ukraine-Affäre sagt er, es sei Aufgabe des Kongresses, Trumps Machenschaften auf den Grund zu gehen. Sein Job sei, sich auf seine Kampagne und Konzepte zur Lösung der Probleme im Land zu konzentrieren.

Bislang steuert Biden damit relativ unversehrt durch den politischen Skandal. Mit seiner Zurückhaltung könnte er punkten. Sollten die Nachforschungen aber doch Unlauteres zu ihm oder seinem Sohn zu Tage fördern, könnte Biden tief fallen. Denn moralische Integrität hat er sich gross auf die Fahne geschrieben. Er spricht gerne und viel über Werte, Anstand, Integrität. Er ist das Gegenmodell zu Trump, verkörpert Vernunft, Seriosität und Stabilität.

Der frühere Senator war von 2009 bis 2017 Vize des damaligen US-Präsidenten Barack Obama. Das ganze Land kennt ihn. Bei vielen Amerikanern bedient er die Sehnsucht nach den Obama-Jahren. Und bei manch einem vielleicht auch die Sehnsucht nach etwas Normalität und Ruhe - wenn nicht sogar Langeweile nach den atemlosen Trump-Jahren.

Allerdings steht Biden auch nicht gerade für Erneuerung oder Frische. In den vergangenen Wochen machte er im Rennen der demokratischen Präsidentschaftsbewerber keine ganz so glänzende Figur, wirkte bei Auftritten öfter fahrig, verhaspelte sich bis hin zu peinlichen Blackouts und Versprechern. In Umfragen liegt Biden seit vielen Wochen vor seinen parteiinternen Konkurrenten. Allerdings hat die linke Senatorin Elizabeth Warren zuletzt enorm aufgeholt.

Trump (73) und Biden (76) sind fast gleich alt. Dennoch versucht der Präsident seinen Rivalen als alten Mann darzustellen, der es nicht mehr bringt. «Sleepy Joe» ist der wenig schmeichelhafte Spitzname, den sich Trump für Biden ausgedacht hat. Doch sein Telefonat mit Selenskyj erweckt den Eindruck, dass ihn der «schläfrige Joe» doch etwas nervös macht.

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