Avolition – Wenn der Antrieb verloren geht
Motivationslosigkeit ist ein Symptom, echte Handlungsunfähigkeit die tragische Wahrheit. Bei Avolition haben wir es mit einer ernsthaften Erkrankung zu tun.

Manche Menschen kommen morgens einfach nicht aus dem Bett. Nicht aus Müdigkeit, sondern weil ihr Gehirn die Verbindung zwischen Wollen und Handeln verloren hat.
Diese mysteriöse Störung namens Avolition (auch Antriebsstörung genannt) betrifft Millionen von Menschen weltweit und wird oft fälschlicherweise als Faulheit abgetan.
Was ist Avolition?
Avolition beschreibt einen dramatischen Verlust der Motivation und die Unfähigkeit, zielgerichtete Handlungen zu beginnen oder aufrechtzuerhalten. Doch bei diesem Phänomen handelt es sich nicht einfach um einen Mangel an Interesse, sondern um eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Fähigkeit, Absichten in Taten umzusetzen.

Die Betroffenen möchten oft durchaus handeln – sie wollen arbeiten, sich um ihre körperliche Hygiene kümmern oder soziale Kontakte pflegen. Doch selbst einfachste Aufgaben erscheinen ihnen überwältigend oder sinnlos, als wäre eine unsichtbare Barriere zwischen Gedanken und Handlungen entstanden.
Besonders heimtückisch ist, dass Avolition auch dann bestehen bleibt, wenn Konsequenzen drohen. Selbst der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder die Verschlechterung wichtiger Beziehungen können die Lähmung nicht durchbrechen.
Die verräterischen Anzeichen erkennen
Das erste Warnsignal ist oft eine drastische Reduzierung alltäglicher Aktivitäten: Erkrankte vernachlässigen ihre Körperpflege, räumen nicht mehr auf oder versäumen wichtige Termine. Diese Verhaltensänderungen entwickeln sich schleichend und werden zunächst oft übersehen.
Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist die emotionale Abstumpfung: Die Betroffenen zeigen weniger emotionale Reaktionen auf positive oder negative Ereignisse. Freude, Trauer oder Ärger scheinen gedämpft oder ganz zu verschwinden.
Selbst vertraute Aufgaben wie Einkaufen, Terminvereinbarungen oder das Bezahlen von Rechnungen werden zu unüberwindbaren Hürden. Die Betroffenen wissen oft genau, was sie tun sollten, können es aber einfach nicht umsetzen.
Avolition ist nicht gleich Faulheit
Während Faulheit eine bewusste Entscheidung darstellt, erleben Menschen mit Avolition eine Art Lähmung. Sie können sich nicht einfach «zusammenreissen» oder ihre Einstellung ändern.
Prokrastination oder «Aufschieberitis» beinhaltet das aktive Aufschieben von Aufgaben, oft mit dem Wissen, dass sie später erledigt werden müssen. Bei Avolition fehlt hingegen die grundlegende Fähigkeit, überhaupt mit einer Aufgabe zu beginnen.

Faulheit kann durch Motivation oder Disziplin überwunden werden; Avolition benötigt professionelle medizinische Hilfe. Vorwürfe oder gut gemeinte Ratschläge verstärken oft nur das Gefühl der Hilflosigkeit.
Die neurobiologischen Wurzeln
Wissenschaftler vermuten, dass Avolition eng mit Störungen im Dopaminsystem des Gehirns zusammenhängt. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der eine zentrale Rolle im Belohnungssystem spielt.
Bei einem Mangel an diesem wichtigen Botenstoff kann unser Gehirn die normalerweise motivierenden Signale nicht mehr richtig verarbeiten. Selbst positive Verstärkung verpufft, da die entsprechenden Schaltkreise beeinträchtigt sind.
Bildgebende Verfahren zeigen bei Betroffenen oft Veränderungen in Gehirnregionen, die für Motivation und Handlungsplanung zuständig sind. Diese Erkenntnisse unterstreichen, dass Avolition eine echte neurologische Störung und keine Charakterschwäche darstellt.
Häufige Begleiterkrankungen
Avolition tritt selten isoliert auf, sondern ist meist ein Symptom schwerwiegender psychischer Erkrankungen. Schizophrenie ist eine der häufigsten Grunderkrankungen, bei der Avolition zu den sogenannten Negativsymptomen zählt.

Auch bei schweren Depressionen kann Avolition auftreten und die Behandlung erheblich erschweren. Betroffene können nicht mehr die Energie aufbringen, die für ihre Genesung notwendigen Schritte zu unternehmen.
Bipolare Störungen, Angsterkrankungen und bestimmte neurologische Leiden können ebenfalls mit Avolition einhergehen. In manchen Fällen ist die Krankheit sogar eine Nebenwirkung von Medikamenten, insbesondere bestimmter Antipsychotika.
Moderne Behandlungsansätze
Die Therapie der Avolition erfordert einen vielschichtigen Ansatz, der gegebenenfalls zugrundeliegende Erkrankungen berücksichtigt. Medikamentöse Behandlungen zielen darauf ab, das gestörte Neurotransmitter-Gleichgewicht wiederherzustellen.

Psychotherapeutische Verfahren wie die kognitive Verhaltenstherapie helfen dabei, Denkprozesse zu verändern und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Verhaltensaktivierung ist ein besonders vielversprechender Ansatz, der schrittweise die Teilnahme an belohnenden Aktivitäten fördert.
In schweren Fällen kann auch die Elektrokonvulsionstherapie erwogen werden. Diese moderne Form der Elektroschocktherapie hat sich speziell bei behandlungsresistenten Fällen als wirksam erwiesen.
Der Weg zur Hilfe
Ärzte nutzen verschiedene Tests und Fragebögen, um andere Ursachen auszuschliessen und die zugrundeliegende Erkrankung zu identifizieren. Bildgebende Verfahren können zusätzliche Informationen über Gehirnveränderungen liefern.
Wichtig ist, dass Betroffene und ihre Angehörigen verstehen: Es handelt sich um eine ernsthafte medizinische Störung, die professionelle Behandlung erfordert. Scham oder Selbstvorwürfe verschlimmern oft die Situation.

Je früher eine Behandlung beginnt, desto besser sind die Aussichten auf Besserung. Angehörige spielen eine wichtige Rolle, da sie oft die Ersten sind, die Veränderungen bemerken.
Ihre Unterstützung und ihr Verständnis sind entscheidend für den Behandlungserfolg und die langfristige Genesung der Betroffenen.