Ausweg Pille: Tablettensucht unter Jugendlichen
Sie gelten als «clean», man kommt relativ leicht ran, und im Mix wird die Wirkung potenziert: Tabletten. Aber auch Gefahr ist gross. Körperlich und seelisch.

Das Wichtigste in Kürze
- Todesfälle, die auf Medikamente zurückzuführen sind: Das gibt es auch in der Schweiz.
- Insbesondere unter Jugendlichen ist Tablettenabhängigkeit ein kaum erkanntes Problem.
- Soziale Medien und (Un-)Werte der Leistungsgesellschaft sind mögliche Ursachen.
Amy Winehouse, Jimi Henrix, D. Jebeniani: Was haben sie gemeinsam?
Genau. Gemeinsam ist Winehouse und Henrix, dass sie tot sind – und Sucht und Medikamente dabei eine Rolle gespielt haben.

Sie denken, nur Stars haben ernsthafte Probleme mit Medikamenten? Leider nein. Es sind keine Einzelfälle. Es betrifft auch normale Menschen in der Schweiz – und vor allem Jugendliche.
Jährlich mehrere Dutzend Todesfälle in der Schweiz
Nach Angaben von «Sucht Schweiz» sind zwischen 2018 und 2021 mehrere Dutzend Todesfälle von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen in der Schweiz bekannt, die auf Medikamente zurückzuführen waren: als Mischkonsum mit anderen Substanzen.
Anonyme Zahlen, alle ein Leben, das gelebt werden wollte und irgendwo auf Abwege geriet – und liebende Menschen, die trauern, anklagen, fragen: Warum ist das so? Und was können wir tun?
Med-Shopping im Web
Umfragen, auch bei «Sucht Schweiz» dokumentiert, zeigen: Schweizer Jugendliche greifen gezielt zu Beruhigungsmitteln (Benzodiazepinen), Schmerzmitteln (Opioden) und Codein – einer euphorisierenden Substanz, die zum Beispiel in Hustensaft mitkommt. Alle sind verschreibungspflichtig. Und im Mix mit anderen Substanzen, ob Limonade, Alkohol oder Ähnliches, richtig gefährlich.
Apropos verschreibungspflichtig? Manche Jugendliche suchen Ärzte, die ihnen solche Medikamente auf Rezept ausstellen. Andere bedienen sich heimlich an den Tabletten ihrer Eltern. Für viele einfacher ist aber jetzt das Web: Illegale Apotheken schicken zu, Online-Comnunitues und Foren geben Tipps.
Ritalin für starke Nerven
Benzodiazepine dämpfen das Nervensystem, produzieren eine Art Sorglosigkeit. Opiate lindern Schmerz – auch seelischen Schmerz.

Und: In den letzten haben Schweizer Jugendliche ein gesteigertes Interesse an Ritalin entdeckt. Ritalin wird eigentlich bei ADHS eingesetzt. Es reduziert impulsives Verhalten und funktioniert wie Doping fürs Hirn: mehr Konzentration, bessere Aufmerksamkeit, stärkere Leistung.
Der ideale Aufhänger für das langsame Abgleiten in auch psychische Abhängigkeit.
Leistungsfähig in der Leistungsgesellschaft bestehen
Warum brauchen Schweizer Jugendliche so was? Markus Meury von «Sucht Schweiz» stellt im Interview mit der «Schweizer Illustrierten» einen möglichen Zusammenhang her: mit gesellschaftlichem Druck, der Jugendliche belastet.
An konkreten Orten wie in der Schule, Lehre oder an der Uni, oder noch viel näher dran: in den sozialen Medien.
Was, wenn kein Mensch zuhört?
Was tun? Ein «stabiles Elternhaus» ist immer noch das Idealbild für die beste Prävention – und laut dem Suchtexperten auch de facto so. Wer hat, zu dem er in seiner Not gehen kann, muss diese nicht verstecken noch betäuben.

Wo Eltern nicht da sind oder mit sich selbst zu tun haben (wo käme sonst der Medikamentenschrank her, auf den die Kids zugreifen können), treten andere Bezugspersonen an ihre Stelle.
Vielleicht der Fussballtrainer: Sportprogramme überhaupt – gerade in sogenannten Entwicklungsländern wird Sport gerne zur Prävention aller Art, gegen Gewalt und Drogen genutzt, Beispiel «Futbol por la Vida» in Costa Rica. Warum nicht noch gezielter auch bei uns?
Um der Lieben Leben willen
Fakt ist: Hinschauen ist gefragt. Und Mut, auch den Kontext anzusehen: Unsere Gesellschaft und Werte, die unsere Kids in Betäubung und Tod treiben. Einige werden posthum vielleicht erst richtig zu Stars.
Aber für sie wie für alle anderen D.s und A.'s und S.'s und wie sie alle heissen: Tun wir was. Um unser Lieben Leben willen.