Warum Kinder Süssigkeiten lieben
Dein Kind würde sich am liebsten nur von Gummibärchen ernähren. Strikte Verbote bringen nichts – aber was steckt dahinter?

Schon beim Einkaufen beginnt das Theater. Die Augen deines Kindes leuchten vor dem Süssigkeitenregal, und die Diskussion ist vorprogrammiert.
Jeden Tag dieselbe Frage: Darf ich was Süsses? Dieses Quengeln muss weder Trotz noch schlechte Erziehung sein. Die Wissenschaft zeigt: Kinder lieben Süsses aus biologischen Gründen.
Die Vorliebe beginnt vor der Geburt
Bereits im Mutterleib schmeckt der Embryo Süsses. Das Fruchtwasser hat einen leicht süsslichen Geschmack, den das ungeborene Baby über Monate hinweg kennenlernt.
Nach der Geburt setzt sich das fort – Muttermilch schmeckt durch den Milchzuckergehalt leicht süsslich. Der erste Geschmackseindruck prägt sich tief ein und verbindet Süsse mit Geborgenheit, Sättigung und Zufriedenheit.
Babys verziehen bei sauren Zitronen instinktiv das Gesicht, bei süssem Fruchtbrei bleiben sie entspannt.
Diese angeborene Vorliebe hat einen klaren evolutionären Vorteil: Süsses signalisierte unseren Vorfahren schnell verfügbare Energie in Form von Beeren und Früchten. Bitteres und Saures hingegen warnte vor giftigen Pflanzen.
Kinder brauchen mehr Energie als Erwachsene
Kleinkinder haben während ihrer Wachstumsphasen einen grossen Energiebedarf, allein das Gehirn verschlingt nach der Geburt einen Grossteil dessen, was über die Nahrung reinkommt. Arme und Beine wachsen rasant, das Kind erkundet die Welt, rennt, springt und lernt ständig Neues.
All das kostet enorm viel Kraft. Zucker liefert schnelle Energie, die der Körper sofort verwerten kann.

Aus evolutionärer Sicht ergibt die Gier nach Süssem daher absolut Sinn – sie sicherte das Überleben. Das Problem heute: Zucker ist überall und ständig verfügbar.
Was früher auf seltene Beerenfunde beschränkt war, lauert heute in jedem Supermarktregal. Der Körper kann zwischen natürlicher Fruktose und industriellem Haushaltszucker nicht unterscheiden – Hauptsache süss!
Kinder schmecken anders als Erwachsene
Ein faszinierendes Detail: Lebensmittel schmecken für Kinder weniger süss als für Erwachsene.
Ihre Geschmacksknospen nehmen Süsse weniger intensiv wahr, weshalb sie oft die zuckrigste Variante bevorzugen. Während Erwachsene rund 5000 Geschmacksknospen besitzen, haben Säuglinge etwa 10'000.
Mit zunehmendem Alter sinkt die Anzahl – im hohen Alter können es nur noch 900 sein. Parallel verschiebt sich die Wahrnehmung: Bitteres und Saures werden im Laufe des Lebens besser toleriert.
Der schwarze Kaffee, den Teenager eklig finden, schmeckt Erwachsenen plötzlich. Diese biologische Entwicklung erklärt, warum Kinder regelrecht nach Zucker gieren, während Erwachsene auch mildere Süsse geniessen können.
Zucker aktiviert das Belohnungssystem
Süsser Geschmack löst im Gehirn eine Dopaminausschüttung aus. Dieses Glückshormon vermittelt Wohlbefinden, gute Stimmung und Zufriedenheit.
Das Belohnungssystem springt an – ähnlich wie bei anderen positiven Erlebnissen. Auch diese neurobiologische Reaktion erklärt, warum Kinder nach Süssem verlangen und schwer davon loskommen.

Bestimmte Verhältnisse von Zucker und Salz verstärken den Heisshungereffekt – kein Wunder, dass plötzlich die ganze Tüte leer ist. Der Begriff «Zuckersucht» ist zwar nicht wissenschaftlich fundiert, aber die Parallelen zum Suchtverhalten sind unübersehbar.
Anders als echte Suchtmittel macht Zucker nicht körperlich abhängig, doch die psychische Komponente ist umso ausgeprägter.
Frühe Prägung entscheidet langfristig
Eine britische Studie zur Zuckerrationierung nach dem Zweiten Weltkrieg liefert eindrucksvolle Beweise: Kinder, die ihre ersten Lebensjahre ohne Süssigkeiten verbracht haben, essen heute deutlich weniger Zucker als spätere Jahrgänge.
Die Prägung in den ersten Jahren wirkt ein Leben lang nach. Auch Wissenschaftler konnten zeigen, dass Säuglinge, die süsse Getränke erhielten, diese auch im Schulalter bevorzugten.
Wer von Anfang an auf den süssen Geschmack getrimmt wird, behält diese Vorliebe bei. Umgekehrt gilt: Kinder gewöhnen sich auch an weniger Süsses, wenn Eltern konsequent die Zuckermenge reduzieren.
Die Geschmacksschwelle lässt sich nach unten trainieren – das braucht allerdings Zeit und Geduld.
Werbung verstärkt das Problem massiv
15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel sehen Kinder zwischen drei und 13 Jahren im Durchschnitt täglich. YouTube, Fernsehen und Social Media bombardieren sie mit Botschaften für Schokolade, Gummibärchen und Limonade.
Die Werbebranche weiss genau, wie sie Kinder erreicht – mit bunten Farben, beliebten Zeichentrickfiguren und verlockenden Versprechen. Kinder fordern dann gezielt bestimmte Produkte ein, die sie in ihrer Lieblingssendung gesehen haben.

Das Verhalten der Eltern spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle: Wer selbst ständig nascht, kann vom Kind keinen Verzicht erwarten. Auch gut gemeinte Geschenke von Grosseltern, Nachbarn oder beim Bäcker summieren sich schnell zu viel.
Der richtige Umgang mit Süssem
Verbote machen Süssigkeiten nur noch attraktiver. Kinder naschen dann heimlich und mit schlechtem Gewissen.
Besser funktioniert eine klare Struktur: Lass dein Kind selbst aus einer gemeinsam zusammengestellten Wochenration wählen – das fördert Eigenverantwortung.
Zähneputzen danach ist Pflicht. Setze Süssigkeiten niemals als Belohnung oder Trostpflaster ein, das verfälscht die Wahrnehmung. Reduziere versteckte Zucker in Fruchtjoghurt, Müsli und Getränken – dort lauert oft mehr Süsse als in offensichtlichen Naschereien.
Beim nächsten Becher Kakao statt 2,5 nur noch 1,5 Teelöffel Instant-Kakao verwenden, im nächsten Schritt nur noch einen Teelöffel. Diese schrittweise Entwöhnung funktioniert besser als radikale Schnitte.






