«Eltern können Babyschlaf durch diverse Faktoren beeinflussen»
Tilja Tanner ist Schlafcoachin für Baby- und Kinderschlaf. Im Interview mit Nau.ch beantwortet sie Fragen und gibt Tipps für werdende Eltern.

Tilja Tanner ist zertifizierte Schlafcoachin nach Bianca Niermann®, Fachfrau Kinderbetreuung mit jahrelanger Kitaerfahrung und Mama von zwei kleinen Jungs. Die Bernerin hat Nau.ch Antworten rund ums Thema Baby- und Kinderschlaf gegeben. Lesen Sie hier Teil 1.
Im zweiten Teil der Interview-Reihe gibt Tilja Tanner Auskunft, was Eltern bei nächtlichen Wachphasen der Kinder machen können und im dritten Teil erzählt sie uns, wie man das Kind am besten ins eigene Schlafzimmer «zügelt».
Nau.ch: Wie bist du drauf gekommen, Schlaf-Beraterin zu werden? Wie sieht dein Werdegang aus?
Tilja Tanner: Wie die meisten Eltern, die bei mir in den Coachings oder Beratungen sind, bin auch ich, was das Thema Schlaf betrifft, ziemlich unvorbereitet ins Abenteuer Baby gestartet. Das würde ich heute definitiv anders machen. Dementsprechend schwierig war auch der Start mit unserem Grossen (heute 6 Jahre alt).
Er ist schon als kleines Baby häufig aufgewacht und hatte Mühe, in den Schlaf zu finden. Wir wurden zu Beginn vertröstet und dachten, dass das zunehmende Alter unser Problem schon lösen würde. Dem war leider in unserer Situation nicht so. Im Gegenteil: das Thema Schlaf wurde für uns immer belastender und wir immer resignierter und frustrierter – was im Nachhinein nicht nur unsere Paarbeziehung, sondern auch die Beziehung zu unserem Sohn sehr belastet hat.
Die massiven Schlafprobleme, Einschlafschwierigkeiten und häufiges nächtliches Aufwachen (jede Nacht alle 1.5h) begleiteten uns schliesslich bis er 3 Jahre alt war. Dann wurde es langsam besser.
Diese Erfahrung hat mich dazu gebracht, mich schon in der 2. Schwangerschaft eingehend mit dem Thema Babyschlaf zu befassen. Bei unserem 2. Kind war dann zum Glück alles anders und er hat durch sein Temperament und sicher auch durch unser Wissen von Anfang an viel besser geschlafen.
Dieser Unterschied hat mich dazu bewegt, die Weiterbildung zum Schlafcoach zu machen und mit meinem Wissen Familien zu begleiten. Ich betreibe auch einen Kanal auf Instagram, wo ich mein Wissen teile und damit hoffentlich ganz vielen Familien helfen kann.
Zu meinem Werdegang: Ich habe eine Ausbildung zur Fachfrau Kinderbetreuung abgeschlossen und habe selbst während 18 Jahren in Kitas gearbeitet, verfüge also auch über ein breites pädagogisches Wissen, das ich in meine Arbeit miteinfliessen lasse. Meine Weiterbildung als Schlafcoach habe ich bei Bianca Niermann gemacht und mich danach noch im Bereich frühkindliche Regulationsstörungen und Schlaf bei älteren Kindern weitergebildet.
Nau.ch: Wie kann man am besten eine gute Grundlage für den Neugeborenen-Schlaf legen? Was sind gute Voraussetzungen dazu?
Tilja Tanner: Allein über dieses Thema könnte ich stundenlang sprechen und mir ist es ein grosses Anliegen, dass Eltern hier unterstützt werden. Meine Weiterbildung zum Thema «Frühkindliche Regulation» habe ich absolviert, weil auch das ein Thema ist, welches schon sehr früh ins Thema Schlaf reinspielt.

Eine gute Voraussetzung, damit Schlaf gelingen kann, ist sicher das Wissen, wie Babys überhaupt schlafen. Schlaf hat auch viel mit Entwicklung zu tun und gerade in den ersten 6 Monaten entwickelt sich der Schlaf noch sehr stark. Gewisse Dinge brauchen einfach auch etwas Zeit, was aber nicht heisst, dass man ein Kind nicht unterstützen kann.
Wichtig ist, dass ein Kind schon von Beginn an durch die Begleitung seiner Eltern die Erfahrung machen darf, dass schlafen nichts Bedrohliches ist. Zu Beginn geht’s also vor allem darum, ins Vertrauen des Kindes in Bezug auf Schlaf zu investieren: Also viel mit Körperkontakt zu schlafen (wenn euer Neugeborenes das mag) und auch nicht Angst vor dem Verwöhnen zu haben. So könnt ihr eine gute Basis schaffen, aus der mit zunehmendem Alter auch immer mehr Selbständigkeit möglich wird.
Dann lohnt es sich, schon früh auf die Wachzeiten und Müdigkeitsanzeichen zu achten. So kann Übermüdung verhindert werden und das Einschlafen fällt viel leichter. Je länger die Wachzeit, die ein Kind schon schafft, überschritten ist, desto aufwändiger wird meist das Einschlafen. Bei Neugeborenen liegt diese Zeit zwischen 45 und 90 Minuten.
Eltern können den Schlaf schon ganz früh positiv unterstützen, in dem sie ihren Babys helfen, ihre inneren Zustände zuzuordnen: Wenn du Hunger hast, ist die Lösung Essen. Wenn du müde bist, ist die Antwort Schlafen. Und wenn du aufgewühlt bist, liegt die Antwort in der Co-Regulation – durch Trost, getragen werden, Körperkontakt und vor allem die liebevolle Präsenz der Eltern.
Oft mache ich die Erfahrung, dass Eltern das Weinen ihres Kindes nur sehr schwer aushalten und dann auf Beruhigungsstrategien wie starke Bewegung, Wippen, Ablenkung oder starke Geräusche etc. ausweichen. Das Kind macht also die Erfahrung, dass diese zur Beruhigung gut funktionieren. Wenn Kinder schreien oder weinen und weder Hunger noch volle Windeln haben oder müde sind, dann ist das Weinen oft auch ein Erzählen.
Wenn dann das Kind durch sehr dynamische Beruhigungshilfen von diesem Weinen abgelenkt wird, dann wird auch das Erzählen unterbunden.

Für Kinder ist es eine essenzielle Erfahrung, sich über die Bindung zu ihren Eltern beruhigen zu können – dazu braucht’s weder starke Bewegung noch laute Geräusche. All diese Dinge führen eher zur Überreizung. Was hier helfen kann, ist das Verständnis der Eltern, dass von Eltern begleitetes Weinen oder Schreien nichts «Schlimmes» ist und dazugehört.
Nau.ch: Viele Neugeborene können nur mit Bewegung einschlafen. Ab wann und wie kann man das den Babys am besten abgewöhnen?
Tilja Tanner: Sanfte Bewegung in der Trage oder auf dem Arm ist eine sehr natürliche Art der Beruhigung; Kinder kennen das leichte schaukeln bereits auch dem Bauch. Und Bewegung in der Bindung ist an und für sich auch überhaupt kein Problem. Zum Problem wird’s oft erst, wenn Babys zum Beispiel sehr häufig in elektronische Federwiegen abgelegt werden und sich da nur über sehr starke Bewegung beruhigen oder einschlafen.
Viele Eltern greifen verständlicherweise aus Verzweiflung darauf zurück. Ich habe sehr oft Eltern im Coaching, die dann keine Erfahrung in der Co-Regulation mit ihrem Kind haben, weil das Kind sich an die Beruhigung und Regulation durch die starke Bewegung gewöhnt hat.
Grundsätzlich ist Bewegung nicht schlecht, es ist einfach wichtig, dass ein Kind auch andere Wege der Regulation (über deine Präsenz und Bindung) kennenlernt und dass die Bewegung möglichst sanft und natürlich ist. Zu deiner Frage: Möglichst von Anfang an gar nicht zu viel starke Bewegung anbieten und auch mal gemeinsam liegend mit dem Kind einschlafen.