Wegen einer geplanten Totalsanierung stehen seit Monaten Altbauwohnungen am Zürcher Helvetiaplatz leer. Für Bewohner geht eine Ära zu Ende.
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Am Helvetiaplatz in Zürich sollen neu Luxuswohnungen entstehen. - Yann Bartal

Das Wichtigste in Kürze

  • Vielen Anwohnenden am Helvetiaplatz in Zürich wurde in diesem Jahr gekündigt.
  • Der Grund: Swiss Life plant eine Totalsanierung und schafft Platz für Luxuswohnungen.
  • Diese neuen Wohnungen sind für die bisher dort lebenden Personen nicht mehr zahlbar.
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Draussen auf dem Helvetiaplatz herrscht Hochbetrieb. Zweimal wöchentlich werden am traditionellen Lebensmittelmarkt frisches Brot, Käse aus der Region oder Schnittblumen aus der nahegelegenen Gärtnerei verkauft. Bei schönem Wetter ist jeder Meter auf dem Helvetiaplatz begehrt.

Der Platz an der Sonne ist beliebt, um einen Kaffee zu trinken oder in Ruhe Zeitung zu lesen. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade an dieser Adresse Altbauwohnungen und Büroflächen seit Monaten leer stehen.

Während im Erdgeschoss der Stauffacherstrasse 94/96 und der Molkenstrasse 15/17 im John Baker, dem Hooters oder der Bank reger Betrieb herrscht, sind die oberen Stockwerke beinahe ausgestorben.

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Die Strafverfolgung ist schon länger aus der Molkenstrasse gezogen. - Yann Bartal

«Wir wurden aus unserem Zuhause geworfen», sagt Andrea*. Sie ist eine ehemalige Bewohnerin der Stauffacherstrasse 96 und will ihren richtigen Namen nicht in der Öffentlichkeit lesen. Zehn Jahre lang hat Andrea am Helvetiaplatz gewohnt.

«Die Swiss Life plant dort Luxuswohnungen, die wir uns als gebürtige Stadtzürcher bestimmt nicht leisten können», beschwert sie sich. Ihr und der ganzen Mieterschaft wurden ursprünglich auf Ende März 2023 gekündigt.

Der Baubeginn verzögert sich aber und die Frist wurde auf November dieses Jahres verlängert. Die meisten sind bereits ausgezogen und daher stehen viele Wohnungen leer.

Leere Balkone

Ein Augenschein beim prominenten Blockrand zwischen Helvetiaplatz und Langstrasse bestätigt: Viele Wohnungen stehen bereits leer. Die meisten Klingelschilder sind abmontiert und auf den Balkonen im Innenhof deutet wenig darauf hin, dass hier noch jemand lebt. Doch ein paar wenige sind geblieben.

So auch Josephine*, die anonym bleiben will, und entschlossen ist, bis zum Ende auszuharren. Seit über zwanzig Jahren wohnt sie hier. Sie liebt ihre Wohnung über alles: In der stattlichen Architektur des ehemaligen Postgebäudes mit den grosszügigen Grundrissen fühle man sich einfach wohl. Obwohl die Mieten in der Vergangenheit immer wieder erhöht wurden, lebt sie in einer bezahlbaren Wohnung – ihre Dreizimmerwohnung kostet deutlich unter 2000 Franken monatlich.

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Ist jemand zuhause? - Yann Bartal

Das Langstrassenquartier sei einzigartig, sozusagen der Melting Pot von Zürich. Allerdings ist auch in diesem Quartier die Gentrifizierung in vollem Gange: Im November müssen die letzten Bewohner ausziehen – falls die Frist nicht noch einmal verlängert wird. Doch die Stimmung im Haus sei angespannt, grosse Hoffnung mache sich niemand mehr.

Josephine weiss, dass sie in Zürich bezahlbaren Wohnraum lange suchen muss. Und so ist sie seit Monaten auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Sie durchkämmt Annoncen, hat alle Wohnungsinserate abonniert und schreibt regelmässig Vermieter an. An eine Wohnungsbesichtigung wird sie aber selten eingeladen. «Der Zürcher Wohnungsmarkt ist die Vorhölle», stellt sie bestürzt fest.

Übermächtige Wohnungsbesitzerin

Eigentümerin des besagten Grundstücks am Helvetiaplatz ist die Swiss Life. Die Swiss Life Gruppe hat seit 2008 mehr als 200 Grundstücke in der Stadt Zürich gekauft und wurde zur grössten kommerziellen Wohnungsbesitzerin der Stadt. Dies ergab eine aufwendige Recherche von REFLEKT in Kooperation mit Tsüri.ch.

Alleine in Zürich besitzt die Swiss Life über 5000 Wohnungen, das bestätigt die Versicherung auf Anfrage. Damit ist sie eine der treibenden Kräfte auf dem Zürcher Immobilienmarkt. Im Jahre 2012 kaufte die Swiss Life die Immobilien an der Stauffacherstrasse und Molkenstrasse von der Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site für 34,5 Millionen Franken ab.

Braucht es Massnahmen gegen die Wohnungsnot?

Der Verkaufspreis lag über einem Drittel des ausgewiesenen «Fair Value» – also dem hypothetischen Marktpreis der Immobilie. Dies geht aus dem Jahresbericht der Swiss Prime Site 2012 hervor. Die Gebäude an der Molkenstrasse 15 und 17 sowie Stauffacherstrasse 94 und 96 sind über 100 Jahre alt und wurden zuletzt in den 70er- und 90er-Jahren teilsaniert.

Bis 2022 hat die Staatsanwaltschaft zahlreiche Büros in der Liegenschaft an der Molkenstrasse gemietet und dort Verhöre durchgeführt. Dann wurden mit dem Umzug ins neue Polizei- und Justizzentrum (PJZ) diese Flächen frei und damit für die Swiss Life die Zeit reif für eine Sanierung.

Bezahlbare Wohnungen? Unwahrscheinlich

Wie die zuständige Kreisarchitektin auf Anfrage mitteilt, ist das Projekt noch in der Vernehmlassung. Ob mit dem Umbau im Frühjahr 2024 begonnen werden kann, ist daher ungewiss. Geplant sind ein Umbau und eine Nutzungsänderung. Von den alten Büroflächen bleibe ein Teil als Büros erhalten, einen Teil davon baue die Eigentümerin zu Wohnungen um, wie Swiss Life auf Anfrage mitteilt.

Laut den Bauplänen entstehen insgesamt dreimal mehr Wohnungen mit durchschnittlich deutlich kleineren Grundrissen. Die Gastroflächen im Erdgeschoss bleiben unverändert und sollten während der Bauzeit mit wenigen Einschränkungen weiter betrieben werden können. Bezüglich des Ausbaustandards und den Mietkosten schweigt sich Swiss Life aus. Sie schreibt lediglich: «Es ist ein durchmischter Wohnungsmix mit 1,5- bis 5-Zimmer-Wohnungen geplant. Die Mietpreise werden bei der Vermarktung festgelegt.»

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Die Gastroflächen im Erdgeschoss bleiben unverändert. - Yann Bartal

Die Verwaltung hat frühzeitig die Mieter über die Kündigung informiert und unterstützt sie im Rahmen einer sogenannten «Mieterspezialbetreuung», die eine verkürzte Kündigungsfrist und Unterstützungen bei der Wohnungssuche beinhaltet. Josephine nimmt diese Betreuung positiv auf. Welche Abmachung sie mit Swiss Life getroffen hat, will sie nicht ausführen – niemand im Haus will es sich mit der Vermieterin verscherzen.

Was die Swiss Life an dieser besonderen Lagen plant, wird sich zeigen, wenn der Umbau fertig ist. Im Baugesuch sind Baukosten von 25 Millionen kalkuliert. Bei einer Investitionssumme von über 50 Millionen ist es fraglich, ob am Helvetiaplatz mitten im Kreis 4 quartierverträgliche und bezahlbare Wohnungen entstehen.

*Name geändert

Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei Tsüri.ch erschienen. Autor Yann Bartal ist Praktikant Redaktion beim Zürcher Stadtmagazin.

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