Die silberne Generation
Wieder wächst die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft an einer Weltmeisterschaft über sich hinaus. Kann sich diese Spielergeneration auch Gold verewigen?

Kurz nach dem Tage Thompson am 25. Mai in Stockholm in der Verlängerung mitten ins Schweizer Eishockeyherz traf, herrschte im Lager des Finalverlierers tiefe Leere.
Leonardo Genoni, der nach seinen heroischen Darbietungen als WM-MVP ausgezeichnete Torhüter, sagte, er würde all seine Meriten gegen diese eine Medaille eintauschen, die ihm noch fehlt: Gold.
Für Genoni, 37, war es das vierte WM-Silber seit 2013. Schon nach der dritten Silbermedaille von 2024 hatte er gesagt: «Die Medaille hat die falsche Farbe». Jetzt war die Enttäuschung noch grösser – er hatte in 180 Minuten regulärer Spielzeit in der K.o.-Phase keinen einzigen Gegentreffer erhalten. Und doch reichte es nicht zum ganz grossen Wurf.
Denn wie schon im Vorjahr in Prag blieb die Nati im Final gegen einen sehr starken Gegner torlos. Die verletzungsbedingte Absenz des Captains und Erstliniencenters Nico Hischier schwächte sie merklich.

Man kann lange darüber diskutieren, wie fair und richtig es ist, dass die Verlängerung eines WM-Finals aktuell mit Drei-gegen-Drei Feldspieler ausgetragen wird. Aber aus der Position des Verlierers wirkt die Debatte weinerlich.
Das Thema würde nicht einmal angeschnitten werden, hätte Kevin Fiala statt Tage Thompson getroffen.
Und sowieso: Die Schweiz ist gut beraten, ihren Blick nach vorne zu richten. Auf die Olympischen Spiele 2026 in Italien. Auf die Heim-WM, für welche sie «CH Media» eilig zum Favoriten ausrief.
Es ist unmöglich vorauszusehen, wie die Dinge im Mai 2026 liegen werden. Die Eishockey-WM, das sollte man nicht vergessen, ist zu einem nicht unwesentlichen Teil eine Lotterie, weil es viel Zufälliges hat, ob und wer gerade verfügbar ist, oder der NHL-Playoffs wegen unabkömmlich.
Die Heim-WM als einmaliges Erlebnis
Es ist schwer vorstellbar, dass die Sterne in der K.o.-Phase noch einmal so günstig stehen werden wie 2025, als sich den Schweizern auf dem Weg in den Final erst Österreich und dann Dänemark entgegenstellte, zwei krasse Aussenseiter.
Aber es gibt schon Parameter, die optimistisch stimmen: Der ewige Mitfavorit Russland ist weiterhin ausgeschlossen, was den Kreis der Medaillenanwärter schrumpfen lässt. Und man darf davon aus gehen, dass die WM 2026 beim Gros der Spieler der übrigen Top-Nationen nicht allerhöchste Priorität geniesst.
Nicht weniger als drei Monate nach dem Olympischen Turnier, für welches die NHL erstmals seit 2014 ihren Spielbetrieb unterbricht.

Bei der Schweiz wird das anders sein. Es gab hierzulande seit 2009 keine WM mehr – das für 2020 geplante Turnier fiel bekanntlich der Pandemie zum Opfer. Von den Akteuren aus dem Aufgebot von 2009 sind nur noch Roman Josi und Yannick Weber aktiv.
Für einen Teil der aktuellen Spielergeneration ist es die womöglich einzige Gelegenheit, die WM-Bühne vor der Haustüre zu bespielen. Absagen muss der Nationaltrainer Patrick Fischer 2026 nicht befürchten.
Generell ist das Fischers wichtigster Verdienst: Dass sich niemand für ein Aufgebot zu schade ist, obwohl eine WM-Teilnahme gerade für die NHL-Spieler finanziell irrelevant ist.
Der Verteidiger Jonas Siegenthaler sagte im SLAPSHOT-Gespräch vor zwei Jahren, dass es eine untergeordnete Rolle spielt, wer Trainer ist. Weil die Chemie zwischen den Spielern stimmt.

Aber Fischer hat eine Atmosphäre geschaffen, in welcher sich die Akteure wohl fühlen. Es war exemplarisch, dass der Starstürmer Fiala einrückte, obwohl er und seine Partnerin kurz vor dem Turnierstart einen persönlichen Schicksalsschlag verarbeiten mussten.
Was die Aufgebotsdisziplin angeht, dürften die vier verlorenen Finalspiele sogar ein Segen sein. Jeder will dabei sein, wenn sich die Nationalmannschaft mit einem Weltmeistertitel unsterblich macht. Ist das einmal geschehen, dürften manche Stars ihren Mai auch einmal anders gestalten.
Sicher ist, dass die Zeit drängt, wenn die Silberne Generation die Farbe, mit der sie assoziiert wird, noch wechseln will. Wie schon im Vorjahr stellte die Schweiz eine der ältesten WM-Equipen.
«Es spielt eine untergeordnete Rolle, wer Trainer ist. Weil die Chemie zwischen den Spielern stimmt. Aber Fischer hat eine Atmosphäre geschaffen, in welcher sich die Akteure wohl fühlen», sagte Jonas Siegenthaler im SLAPSHOT-Gespräch vor zwei Jahren.
Gewiss, der 41-jährige WM-Rekordspieler Andres Ambühl, der seine famose Karriere beinahe noch gekrönt hätte, hob den Schnitt empfindlich an.
Aber es gibt keine zwei Meinungen darüber, dass das Schweizer Eishockey auf Nationalmannschaftsebene vor einer schwierigen Zukunft steht.
Im Frühjahr stieg das U18-Nationalteam erstmals seit 20 Jahren wieder in die B-Gruppe ab. Und seit die New Jersey Devils 2017 Nico Hischier zum First-Overall-Draft machten, hat die Schweiz mit Lian Bichsel (Nr. 18, Dallas, 2022) noch einen einzigen Erstrundendraft produziert.

Die Exportpipeline in Richtung NHL ist ins Stocken geraten. Es ist möglich, ohne NHL-Stars Weltmeister zu werden – Finnland hat das 2019 bewiesen. Aber selbstredend sinken die Chancen drastisch.
Für die Schweiz spricht, dass Schlüsselspieler wie Hischier (26), Fiala oder Timo Meier (beide 28) ihren Zenit mutmasslich noch nicht einmal erreicht haben. Die Frage ist, ob sich um sie herum aus der National League zukünftig genügend Qualität finden lässt.
Auch in dieser Hinsicht waren die Wochen in Herning, in der dänischen Provinz, ermutigend: Debütanten wie Nicolas Baechler, Simon Knak oder Sandro Schmid wussten zu gefallen. Und der in Kalifornien geborene Tyler Moy, der es nie in die NHL schaffte, wurde an seiner ersten WM mit zwölf Punkten bester Schweizer Skorer.
Auch dieses Quartett wird an der Niederlage gegen die USA wachsen. Und womöglich bei einem nächsten Finaleinzug von diesen Erfahrungen zehren.
Es funktioniert auch ohne Tommy Albelin
Schon jetzt zeugten die Auftritte der Schweizer Equipe von einer bemerkenswerten Reife. Sie zelebrierten in der Gruppenphase abermals offensive Herrlichkeit, sie dominieren diese Pflichtrunde längst nach Belieben.
Seit 2021 hat die Schweiz nie mehr eine Gruppenphase schlechter als auf Platz 2 abgeschlossen. Die eindrückliche Bilanz liest sich so: 28 Siege aus 35 Spielen bei einem Torverhältnis von 153:63.
In den Anfangsjahren der Ära Fischer wirkte es manchmal so, als würde die Schweiz ihre defensive Stabilität opfern, um offensiv mehr zu kreieren, Fischer ermunterte dazu, Risiken einzugehen, weil er das Reduit auf dem Eis und in den Köpfen aufbrechen wollte.
Doch die Abwehr ist längst sattelfest – sie ist es auch jetzt geblieben, wo der seit Jahren für die Defensive zuständige Assistenzcoach Tommy Albelin nicht mit von der Partie war. Albelin, 61, ist seit 2024 Assistenztrainer bei den New York Islanders.

Diese WM war die erste ohne ihn seit 2017. Fischers Agent Daniel Giger sorgte dafür, dass er adäquat ersetzt wurde: Mit Rikard Franzén organisierte ein anderer kompetenter Schwede die Schweizer Verteidigung.
Franzén, 57, vor einigen Jahren kurz Cheftrainer bei den SCL Tigers, ist einer der unterschätztesten Coaches im Land. 2025/26 wird er gemeinsam mit Lars Leuenberger dem Startrainer Roger Rönnberg bei Fribourg-Gottéron assistieren.
Und er wird womöglich im kommenden Frühjahr wieder an Bord sein, wenn die Schweiz den nächsten Anlauf nimmt, dieser Generation den goldenen Anstrich zu geben.