Besonders arme Menschen gehen früher als nötig ins Altersheim, weil der Staat diese Form der Alterspflege finanziell besser unterstützt. Gleichzeitig herrscht bei der Pflege zu Hause ein bürokratischer Dschungel. Das geht so nicht, findet SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi.
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SP-Nationalrätin Barbara Gysi fordert, dass Versicherungen für beide Geschlechter gleich hohe Prämien zahlen. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Vor allem arme Senioren können sich den Lebensabend daheim nicht leisten.
  • Denn der Staat finanziert vor allem die stationäre Betreuung in einem Altersheim.
  • «Die öffentliche Hand muss sich an den Betreuungskosten beteiligen», fordert SP-Nationalrätin Barbara Gysi.
  • Wie kompliziert die Finanzierung der ambulanten Pflege ist, zeigt ein Beispiel der Spitex.

Den Lebensabend zu Hause verbringen, statt in einem Heim – das wünschen sich viele Senioren. Doch weil die Pflegefinanzierung im Alter in erster Linie auf Altersheime ausgelegt ist, geht jeder dritte alte Mensch zu früh ins Heim. Betroffen ist vor allem, wer nicht mehr allzu viel Geld auf der hohen Kante hat.

Arme müssen ins Heim, während Reiche sich zu Hause pflegen lassen könne - das geht nicht, findet Nationalrätin und SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi: «Die öffentliche Hand muss sich um die Pflege kümmern», alles andere wäre würdelos. In Bern hat sie darum einen Vorstoss gemacht: Die Bereiche Pflege und Betreuung, welche aktuell sehr strikt getrennt werden, müssen stärker ineinander fliessen.

«Jeder schaut nur auf die eigene Kasse»

Als Wiler Stadträtin war Gysi viele Jahre für die Altersarbeit zuständig und kennt das Problem der Finanzierung. «Aktuell ist die Situation so, dass die Ergänzungsleistungen des Bundes einen Teil der Alterspflege zahlen, die Kantone einen weiteren und die Gemeinden nochmals einen anderen. Und jeder schaut nur auf die eigene Kasse», erklärt Gysi.

So würden unter dem Strich für die Gesellschaft mehr Kosten entstehen, als wenn die Alterspflege und -betreuung einheitlich geregelt und abgerechnet werden könnte. «Sonst kommt es noch so weit, dass die eine Person den Verband wechselt und die nächste kommt, um den Stützstrumpf hoch zu ziehen», erklärt Gysi.

Wie nahe Gysi mit ihrem Negativ-Beispiel der Realität kommt, zeigt ein Beispiel der Spitex.

Grundpflege, Behandlungspflege oder Hauswirtschaftsdienst?

Stellen wir uns vor, ein älterer Patient lebt noch Daheim. Braucht aber einerseits Hilfe beim Wechseln seines Verbandes am Bein, zudem beim Anziehen der Stützstrümpfe. Das Verbandwechseln geht unter «Behandlungspflege, die kassenpflichtig ist und von einer diplomierten Pflegefachfrau oder FaGe (Fachfrau-/mann Gesundheit) der Spitex durchgeführt wird», erklärt Francesca Heiniger, Geschäftsleitungsmitglied der Spitex.

Wie verhält es sich mit den Stützstrümpfen? «Diese Dienstleistung gehört zur Grundpflege, ebenfalls kassenpflichtig».

Doch was, wenn auf dem Frühstückstisch des Herrn ein bereits etwas härteres Brot steht und er Mühe beim Abschneiden hat? «Das ist eine hauswirtschaftliche Dienstleistung oder Mahlzeitendienst. Hauswirtschaftliche Dienstleistungen sind nicht kassenpflichtig und werden den Klientinnen und Klienten verrechnet, wobei diese Leistungen meistens durch die Gemeinde subventioniert sind», erklärt Heiniger weiter. Doch selbstverständlich erbringe die Spitex-Fachperson «eine solch kleine Dienstleistung», ohne sie abzurechnen.

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Pflege daheim: Eine Mitarbeiterin der Spitex misst den Blutdruck. Durch das Coronavirus haben sich die Arbeitsbedingungen stark erschwert. - Keystone

Fairer Ausgleich

Aktuell zahlt der Bund bessere Ergänzungsleistungen, wenn jemand stationär betreut wird. Dann wäre auch das Brotabschneiden ganz offiziell inklusive. Gysi schüttelt den Kopf: «Das geht nicht, die öffentliche Hand muss sich zu gleichen Teilen an stationären oder ambulanten Lösungen beteiligen.»

Damit grosszügige Gemeinden nicht immer mehr, und knausrige immer weniger zahlen, müsse es aber «entweder einen fairen Soziallastenausgleich zwischen den Kantonen und Gemeinden geben, oder eine nationale Lösung mit höheren Ergänzungsleistungen oder Hilflosenentschädigung vom Bund», so Gysi. «Denn wer daheim bleiben will, der soll das auch können.»

Volksinitiative der Senioren

Das Netzwerk «Gutes Alter» sammelt nun auf eigene Faust Unterschriften für eine Volksinitiative. Die Forderung: «Ein gutes Leben im Alter, frei von Diskriminierungen, soll allen Menschen zustehen, unabhängig von den Ressourcen, über die sie verfügen», so die Forderung. Gysi hat bereits unterschrieben.

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