Mit dem Alter lässt die Schlagkraft des Immunsystems nach, und es verliert seine schnelle Reaktionsfähigkeit. Ein Gastbeitrag von Helga Kessler.
Helga Kessler
Helga Kessler ist Wissenschaftsjournalistin und Dozentin im Bachelorstudiengang Kommunikation der ZHAW. - zVg
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Das Wichtigste in Kürze

  • Helga Kessler ist Wissenschaftsjournalistin und Dozentin für Kommunikation an der ZHAW.
  • Der Beitrag zum Immunsystem entstand im Auftrag des Universitätsspitals Zürich.
  • Kessler erklärt, wie das Immunsystem im Umgang mit Erregern im Laufe des Lebens ändert.

Das menschliche Immunsystem wehrt laufend Erreger ab. Kinder müssen die körpereigene Abwehr erst ausbilden – und bei Erwachsenen verliert sie mit dem Alter an Schlagkraft.

Eltern kennen das Phänomen: Laufend schleppen die Kinder irgendwelche Erkrankungen nach Hause, ständig sind sie erkältet. Bis zu zwölf fieberhafte Infekte machen Kleinkinder pro Jahr durch, Erwachsene deutlich weniger.

Doch während die Kleinen schon nach wenigen Tagen wieder fit sind, leiden die Eltern und erst recht die Grosseltern häufig viel länger. Warum ist das so? Und wie verändert sich das Immunsystem im Laufe des Lebens?

Immunsystem der Kinder erlernt Umgang mit Viren

Dass Kinder nicht nur gefühlt ständig krank sind, hat einen guten Grund: Ihr Immunsystem muss erst noch lernen, was es zu tun hat. Etwa bis zum zehnten Lebensjahr ist das komplexe System aus Organen, Zellen und spezifischen Eiweissen noch in Ausbildung.

Dadurch, dass Babys und Kinder Viren, Bakterien und andere Erreger aufnehmen, lernt ihr Körper, damit umzugehen. Daher kommt auch die Empfehlung, Kinder nicht keimfrei aufzuziehen, sondern sie ruhig mal mit Dreck spielen zu lassen.

Kind wird Fieber gemessen.
Dadurch, dass Babys und Kinder Viren, Bakterien und andere Erreger aufnehmen, lernt ihr Körper, damit umzugehen. - unsplash

Nur wenn sie in Kontakt mit – oft harmlosen – Keimen kommen, können sie eine «spezifische Abwehr» aufbauen, indem sie Antikörper bilden. Erwachsene dagegen haben schon verschiedenste Infektionen durchgemacht und sind deswegen gegen viele Erreger immun.

Bei Viren ist dies besonders wichtig, weil es kaum wirksame Medikamente gibt und oft auch keine Impfungen. Der Körper muss sie und andere Eindringlinge selbst bekämpfen – und das tut er tatsächlich laufend und sehr effizient.

Säure, Fress- und Killerzellen gegen Erreger

Längst nicht jeder Kontakt mit einem neuen Virus oder einem anderen Erreger löst eine Erkrankung aus. Denn der Körper hat gleich mehrere Schutzschilde aufgestellt, die ein Eindringen verhindern sollen.

Schon zum Zeitpunkt der Geburt ist die angeborene «unspezifische Abwehr» funktionsfähig. Sie reagiert schnell und geht auf alles los, was als «fremd» erkannt wird. Die Haut und der Magen wehren sich mit einem Säuremantel, im Speichel, in der Tränenflüssigkeit oder im Schleim von Nase und Bronchien schwimmen Eiweisse, die Zellwände von Bakterien auflösen können.

Der Darmtrakt, der bei den Mandeln beginnt und beim Dickdarm endet, hat eine regelrechte Barriere gegen Keime aufgebaut und wehrt sich mit antibakteriellen Stoffen, einer gesunden Darmflora und einer eigenen Immunabwehr.

Im Darm sind besonders viele «grosse Fresszellen» angesiedelt. Sie zählen zu den weissen Blutkörperchen und suchen in allen Geweben und der Lymphflüssigkeit nach Eindringlingen, die sie buchstäblich auffressen. Im Blut übernehmen «kleine Fresszellen» diese Funktion.

Virus unter Mikroskop.
Schon zum Zeitpunkt der Geburt ist die angeborene «unspezifische Abwehr» funktionsfähig. - unsplash

«Dendritische Zellen» fungieren als wandernde Alarmanlage. Stossen sie auf Viren, Bakterien oder Pilze, produzieren sie Botenstoffe, die die Abwehr weiter hochfahren und noch mehr Fresszellen auf den Weg schicken.

Zudem aktivieren sie «natürliche Killerzellen», die von Viren befallene Zellen erkennen. Sie durchlöchern deren Wände und töten sie so ab – ein Mechanismus, der auch bei Tumorzellen funktioniert.

Fieber hemmt die Vermehrung

Gelingt es diesen ersten Abwehrmechanismen nicht, die Keime vollständig zu vernichten, siedeln sie sich an und vermehren sich. Der Körper reagiert auf eine solche Infektion mit einer Entzündung – auch das ist eine Form der Abwehr.

Die erkrankte Stelle wird rot, erwärmt sich, schmerzt und schwillt an, auch weil nun massenhaft weisse Blutkörperchen dorthin wandern. Fieber unterstützt die Abwehr. Bereits eine leicht erhöhte Temperatur von 38 Grad Celsius kann die Vermehrung der Krankheitserreger hemmen.

Auch der Stoffwechsel wird aktiviert. Deshalb fühlt man sich müde und krank. Über Eiter, Schleim oder Wundflüssigkeit spült er schliesslich die zerstörten Erreger und kaputte Zellen aus dem Körper – bei Erkältungen äussert sich das in Niesen, Husten und einer triefenden Nase.

Nach ein paar Tagen erholt sich ein ansonsten gesunder Körper wieder, die Infektion klingt ab.

Gedächtniszellen patrouillieren durch den Körper

Greift dasselbe Virus erneut an, kann sich das Immunsystem viel besser wehren, denn es hat inzwischen eine «spezifische Abwehr» aufgebaut. Auch hieran sind die Fresszellen und die dendritischen Zellen beteiligt.

Sie geben nämlich die Information über den Eindringling an T-Helferzellen weiter, die auch zu den weissen Blutkörperchen zählen. Die T-Helferzellen aktivieren B-Lymphozyten, die sich zu Plasmazellen entwickeln und nun massenhaft auf den Angreifer zugeschnittene Antikörper bilden.

Diese heften sich an die Viren oder Bakterien und sorgen so dafür, dass sie zerstört werden. Die Fresszellen räumen den Müll auf. Entscheidend für die erworbene Immunität ist, dass B-Lymphozyten sowie ebenfalls alarmierte T-Killerzellen Informationen über den Feind speichern können.

Viren unter Mikroskop.
Schutz vor Reinfektionen? Gedächtniszellen patrouillieren durch den Körper. - unsplash

In Blut und Lymphe patrouillieren nun «Gedächtniszellen», die beim nächsten Angriff desselben Virus sofort wieder massgeschneiderte Antikörper bilden und den Eindringling attackieren. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, könnte man salopp sagen.

Thymus ist «Munitionsfabrik» im Baby- und Kindesalter

Doch obwohl in jungen Jahren das Immunsystem noch lange nicht ausgereift ist, sind Babys und kleine Kinder keineswegs schutzlos. Bereits im Mutterleib erhalten Föten von der Mutter über die Plazenta eine erste Ausstattung an Antikörpern, später läuft der Nachschub über die Muttermilch.

Besonders wichtig für die kindliche Abwehr ist der Thymus. Das drüsenähnliche Organ ist bei Neugeborenen 30 Gramm schwer. In der Pubertät bildet es sich zurück, indem es in Fettgewebe umgewandelt wird. Doch im Baby- und Kindesalter ist der Thymus die «Munitionsfabrik» für die nach ihrem Entstehungsort benannten T-Zellen.

Sie lernen dort, zwischen körpereigenem und fremdem Material zu unterscheiden. Erst wenn sie «reif» sind, wandern sie in Lymphknoten, Milz oder Mandeln aus.

Mandeln stärken die kindliche Abwehr

Auch die Mandeln sind bei Kindern deutlich grösser als bei Erwachsenen – und wenn die Kleinen eine Erkältung haben, schwellen sie massiv an.

Das liegt daran, dass dort die T-Zellen in intensiven und häufig ersten Kontakt mit eindringenden Krankheitserregern kommen – alles, was Kinder schlucken oder über den Mund einatmen, kommt dort vorbei. Wie der Thymus verlieren auch die Mandeln mit der Pubertät an Bedeutung.

Dasselbe gilt für die Milz, die ebenfalls Bakterien und Viren erkennt und diese mit B- und T-Zellen abwehrt. Auch reinigt das grösste lymphatische Organ laufend das Blut, indem es überalterte Blutzellen erkennt und abbaut. Erwachsene können zwar auch ohne Milz leben, sind dann allerdings deutlich anfälliger für Infektionen.

Impfungen wirken im Alter nicht mehr so gut

Mit dem Alter lässt die Schlagkraft des Immunsystems nach, und es verliert seine schnelle Reaktionsfähigkeit. Auf neue Virusvarianten, auch auf Bakterien oder Pilze kann die körpereigene Abwehr nicht mehr so gut reagieren wie in jüngeren Jahren.

Das liegt mit daran, dass das Knochenmark mit dem Alter weniger Vorläuferzellen produziert, aus denen sich alle Immunzellen entwickeln. Zudem fehlt der Thymus, der nun keine neuen T-Zellen mehr ausbildet. Das hat zur Folge, dass auch Impfungen nicht mehr so gut wirken.

Weil mit dem Menschen auch dessen Immunsystem altert, ist er am Ende seines Lebens fast schutzloser als im Kindesalter.

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