KRIMINALITÄT: Schwerste Verbrechen, für die lebenslängliche Freiheitsstrafen ausgesprochen werden, sollen nicht mehr verjähren. Der Nationalrat hat am Dienstag eine Standesinitiative des Kantons St. Gallen knapp angenommen, mit 90 zu 89 Stimmen und bei 10 Enthaltungen. Die Initiative fordert, dass die heute 30-jährige Verjährungsfrist für Verbrechen mit lebenslangen Strafen - zum Beispiel Mord - aufgehoben wird und diese unverjährbar sein sollen. Nach dem Ja ist wieder der Ständerat am Zug, der die Standesinitiative vor gut einem Jahr mit knappen Mehr abgelehnt hatte.
Nationalrat
Mitglieder der Grossen Kammer erheben sich bei Sitzungsschluss, an der Sommersession der Eidgenössischen Räte, am Montag, 31. Mai 2021 im Nationalrat in Bern. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • CHEMIKALIEN: Menschen und Umwelt sollen besser vor möglichen negativen Auswirkungen von Chemikalien und vor Industrieunfällen geschützt werden.

Der Nationalrat ist einverstanden, zwei entsprechende internationale Übereinkommen zu ratifizieren. Diese waren im Rat grundsätzlich unbestritten. Einzig die SVP stimmte geschlossen dagegen. Ihr Vertreter Yves Nydegger (GE) sagte, es bestehe keine Not, den Übereinkommen zuzustimmen, die Schweiz habe bereits einen genügenden Schutz. Für die Übernahme ist in der Schweiz keine Gesetzesanpassung nötig. Über die Ratifizierung wird nun noch der Ständerat befinden.

WETTBEWERB: Der Bundesrat muss das Kartellgesetz anpassen, um Sicherheit für die Zusammenarbeit von Unternehmen zu schaffen. Befürchtet wird laut der vom Nationalrat mit 97 zu 88 Stimmen überwiesenen Motion von Ständerat Olivier Français (FDP/VD), dass Unternehmen seit einem Bundesgerichtsurteil gegen den Elmex-Hersteller Gaba nicht mehr wissen, was gilt. Seit dem Urteil werde nicht mehr zwingend berücksichtigt, welche Tragweite Abreden zwischen Unternehmen tatsächlich hätten, machte Français geltend. Der Begriff der Erheblichkeit einer Abrede müsse präzisiert werden. Die starke ablehnende Minderheit befürchtete mit einer Anpassung des Kartellgesetzes neue Rechtsunsicherheiten für Unternehmen.

UNKRAUTVERNICHTER: Das Parlament will Glyphosat nicht verbieten, und auch von einem Ausstiegsplan aus der Glyphosat-Nutzung will es nichts wissen. Der Nationalrat hat zwei Standesinitiativen der Kantone Genf und Jura abgelehnt; der Ständerat hatte schon zuvor Nein gesagt. Die grosse Kammer folgte der Mehrheit der vorberatenden Kommission. Diese hatte festgehalten, dass Glyphosat bezüglich Toxizität ungefährlich sei. Viele wissenschaftliche Organisationen sowie eine Studie des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bestätigten, dass Glyphosat-Rückstände kein Krebsrisiko darstellten, so die Mehrheit.

GLEICHSTELLUNG: Der Bundesrat soll den Wiedereinstieg von Frauen ins Erwerbsleben mit einem Massnahmenplan erleichtern. Der Nationalrat hat die Regierung mit 117 zu 71 Stimmen bei 3 Enthaltungen mit einem Postulat beauftragt, eine Gesamtstrategie auszuarbeiten. Um den Wiedereinstieg zu erleichtern, müsse mit den Arbeitgebenden zusammengearbeitet werden, etwa indem Praktikumsplätze oder Fachkurse angeboten würden, sagte Sibel Arslan (Grüne/BS). Therese Schläpfer (SVP/ZH) stellte sich gegen das Anliegen. Frauen würden einmal mehr als hilflose Wesen dargestellt, sagte sie, als ob sie nicht fähig wären, ihren Weg zurück ins Arbeitsleben selbst zu bewältigen. Es gebe zudem bereits viele Angebote.

MIETWESEN: Der Nationalrat hat äusserst knapp, mit 97 zu 96 Stimmen bei einer Enthaltung, eine Motion für eine grossangelegte Revision des Mietrechts abgelehnt. Der Bundesrat treibe den Prozess für eine Gesamtschau des Mietrechts unabhängig vom Parlament mit den Interessenvertretern voran, befand die Mehrheit. Eine weitere Vorlage sei nicht nötig. Die starke Minderheit deutete die vielen parlamentarischen Initiativen im Mietrecht jedoch als Zeichen für Reformbedarf. Auch der Bundesrat wäre bereit gewesen, die Arbeiten aufzunehmen. Die Zeit sei nicht stillgestanden, seit das Mietrecht in Kraft getreten sei, sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Auch der Ständerat hatte dem Anliegen seiner Rechtskommission zugestimmt. Die Motion ist dennoch vom Tisch.

LANDWIRTSCHAFT: Ehegattinnen und Ehegatten sowie eingetragene Partnerinnen und Partner von Landwirtinnen und Landwirten sollen bei einer Scheidung angemessen für ihre geleistete Arbeit entschädigt werden. Der Nationalrat hat eine Motion mit 114 zu 76 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen, die eine entsprechende Gesetzesanpassung fordert. Derzeit stünden Partnerinnen und Partner nach einer Scheidung wegen der Gegebenheiten oft vor dem finanziellen Nichts, begründete Heinz Siegenthaler (Mitte/BE) das Anliegen. Gemäss Motion sollen die mitarbeitenden Familienmitglieder entweder mit einem Barlohn oder als Selbständigerwerbende mit einem Anteil am landwirtschaftlichen Einkommen am Betrieb beteiligt werden. Die Motion geht an den Ständerat.

ALPWIRTSCHAFT: Der Nationalrat will mehr Forschung von Agroscope im Berg- und Sömmerungsgebiet. Er hat dazu eine Motion aus der Mitte-Fraktion mit 123 zu 44 Stimmen und 20 Enthaltungen angenommen. Ziel muss gemäss dem Vorstoss sein, dass dank Modernisierung bewirtschaftete Flächen und die Zahl der Tiere auf Alpen nicht weiter abnehmen. Etwa könnten digitale Technologien wie virtuelle Zäune eine automatisierte Weidebewirtschaftung ermöglichen, die auch vor Grossraubtieren schützen könnte. Und auch Auswirkungen des Klimawandels auf Berggebiete könnten mit modernen Massnahmen begegnet werden. Der Bundesrat lehnt den Vorstoss ab. Bei Agroscope seien dezentrale Versuchsstationen vorgesehen, die die verlangten Anliegen erfüllten, schrieb er. Die Motion geht an den Ständerat.

LANDWIRTSCHAFT: Der Bundesrat soll die wissenschaftliche und fachliche Kompetenz zur Erhaltung von ertragsfähigen und ertragssicheren Ackerböden schaffen und sicherstellen. Der Nationalrat hat dazu eine Motion mit 111 zu 76 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen. Die Forschung und Entwicklung im Bereich der angewandten Bodenverbesserung liege brach, sagte Martin Haab (SVP/ZH). Sie sollen wieder aufgebaut werden, um die Staatsaufgabe Ernährungssicherheit wahrnehmen zu können. Der Bundesrat lehnte den Auftrag ab. Die Forschungsanstalt Agroscope habe die Aufgabe, die technischen Grundlagen für die landwirtschaftliche Praxis, Bildung und Beratung zu erarbeiten. Es mache keinen Sinn, eine weitere Institution aufzubauen, sagte Landwirtschaftsminister Guy Parmelin. Die Motion geht in den Ständerat.

AUSLANDSHILFE: Der Swiss Investment Funds for Emerging Markets (Sifem), die Entwicklungsfinanzierungsgesellschaft des Bundes, soll die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit in den am wenigsten entwickelten Ländern ausbauen. Der Nationalrat hat dazu eine Motion seiner Aussenpolitischen Kommission (APK-N) mit 105 zu 85 Stimmen angenommen. Namentlich soll geprüft werden, wie private Investoren die klassische Entwicklungszusammenarbeit finanziell entlasten können. Der Bundesrat stellt sich gegen die Motion. Das Engagement in den am wenigsten entwickelten Ländern müsse Schritt für Schritt geschehen, sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Ein reduziertes Engagement der öffentlichen Hand sei ein falsches Signal. Die Motion geht an den Ständerat.

HOCHSCHULEN: Die Eidgenössisch-Technischen Hochschulen (ETH) sollen bis 2030 ein «international herausragendes Netzwerk» für Nachhaltigkeit werden. Das soll für die Lehre und Forschung ebenso gelten wie für den operativen Betrieb. Der Nationalrat hat dazu eine Motion von Martina Munz (SP/SH) mit 105 zu 85 Stimmen angenommen. Munz fordert für die ETH ambitioniertere Ziele als die bereits gesteckten. Der Bundesrat weist in seiner ablehnenden Stellungnahme darauf hin, dass der ETH-Bereich gut auf Kurs sei. Nachhaltigkeit sei in Lehre, Forschung und Betrieb fest verankert. Auch seien die Kompetenzen des Bundesrates, ins Operative der ETH einzugreifen, beschränkt. Der Bundesrat steuert den ETH-Bereich mit strategischen Zielen. Die Motion geht an den Ständerat.

UMWELT: Der Bundesrat soll prüfen, wie ein nationaler Aktionsplan zur Bildung in Nachhaltigkeit an obligatorischen Schulen gefördert werden könnte. Kinder und Jugendliche sollen über Umweltfragen und den sparsamen und bewussten Umgang mit Ressourcen Bescheid wissen, wie es im Postulat von Marco Romano (Mitte/TI) heisst. Der Nationalrat überwies den Vorstoss mit 111 zu 81 Stimmen. Der Bundesrat verwies in seiner ablehnenden Stellungnahme auf das nationale Kompetenzzentrum Education 21 zur Förderung von Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE). Einen zusätzlichen Aktionsplan brauche es nicht.

FREIHANDEL: Das Parlament will Landwirtschaftsprodukte nicht vom Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten ausnehmen. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat diese Forderung des Kantons Jura abgelehnt - mit 108 zu 69 Stimmen bei 10 Enthaltungen. Das Anliegen sei obsolet, da die Verhandlungen in der Substanz bereits abgeschlossen seien, sagte Kommissionssprecherin Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL). Die Initiative ist mit dem Nein in beiden Räten vom Tisch. Gleiches gilt für eine Standesinitiative aus dem Kanton Genf. Das Genfer Parlament forderte, ein fakultatives Referendum zum Abkommen durchzuführen. Die Unterstellung von Freihandelsabkommen unter das fakultative Referendum entspreche bereits der neuen Praxis für Standardabkommen, wie Kommissionssprecherin Schneider-Schneiter sagte.

LOHNDUMPING: Der Nationalrat lehnt es ab, das nationale Obligationenrecht wegen der Bedürfnisse des Kantons Tessin anzupassen. Er hat eine Standesinitiative aus dem Südkanton mit 99 zu 76 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt, mit welcher das Tessin die Forderungen der kantonalen Verfassungsinitiative «Prima i nostri!» umsetzen wollte. Konkret hätten damit Arbeitnehmende besser vor «Austauschkündigungen» geschützt werden sollen. Es sei nicht gerecht, das Obligationenrecht aufgrund von Bedürfnissen aus einer Region für die gesamte Schweiz zu ändern, sagte Kommissionssprecherin Judith Bellaïche (GLP/ZH). Die Standesinitiative geht in den Ständerat.

ÖFFENTLICHER VERKEHR: Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs werden bundesrechtlich nicht verpflichtet, geplante Schliessungen von Verkaufsstellen mehr als ein Jahr vorab anzukündigen. Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat eine Standesinitiative des Kantons Jura oppositionslos abgelehnt. Konkret wollte der Kanton ÖV-Unternehmen verpflichten, die Liste der Verkaufsstellen, die sie schliessen wollen, ein Jahr im Voraus bekanntzugeben. Die Anzahl und damit auch die Schliessung von Verkaufsstellen des öffentlichen Verkehrs falle in die Zuständigkeit der Kantone, befand der Rat. Damit sei eine Anpassung des Bundesrechts nicht nötig. Die Initiative ist damit vom Tisch.

KRANKENKASSEN: Der Nationalrat hat oppositionslos eine Standesinitiative aus dem Kanton Genf abgelehnt, mit der verlangt worden war, dass die Krankenkassenprämien im Jahr 2020 nicht erhöht werden. Die Vorlage sei wegen des Zeitpunktes obsolet, befand der Rat. Im Dezember 2019 hatte auch der Ständerat die Vorlage abgelehnt. Sie war im Juni 2019 eingereicht worden. Mit dem Nein in beiden Räten ist sie vom Tisch.

CORONAVIRUS: Das Parlament hat eine Initiative aus dem Kanton Jura abgelehnt, die einen Fonds zur finanziellen Unterstützung der Sport-, Kultur-und Freizeitvereine fordert. Diese Hilfe sollte an von der Pandemie besonders stark getroffene Vereine erhalten. Nach dem Ständerat sagte nun auch der Nationalrat Nein zum Begehren. Die vorberatende Kommission hatte auf die Unterstützungsmassnahmen des Bundes verwiesen und das Anliegen als erfüllt betrachtet. Der Vorstoss ist vom Tisch.

E-VOTING: Der Nationalrat will kein Gremium einsetzen, das auf der Grundlage des in Genf entwickelten E-Voting-Systems ein System für elektronische Abstimmungen entwickeln und betreiben soll. Er hat - wie zuvor schon der Ständerat - eine Genfer Standesinitiative mit dieser Forderung abgelehnt. Gefordert worden war ein Open-Source-E-Voting-System, das ganz in der Kontrolle der öffentlichen Hand sein sollte. Der Kommissionsmehrheit im Nationalrat erschien dieser Ansatz zu eng. Sie verwies zudem auf die vom Bundesrat neu lancierte Diskussion über elektronische Abstimmungssysteme. Das Geschäft ist damit vom Tisch.

VEREIDIGUNG: Der Nationalrat hat ein neues Mitglied. Der Walliser Sozialdemokrat Emmanuel Amoos aus Siders hat das Amtsgelübde abgelegt. Er ist 40-jährig und nimmt zunächst Einsitz in der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK). Amoos rutscht für Mathias Reynard nach, der Ende März in die Walliser Kantonsregierung gewählt wurde. Der 33-jährige Reynard war während mehr als neun Jahren Mitglied der grossen Kammer. Gewählt wurde er seinerzeit als jüngster Nationalrat. Schon am Montag hatte der Nationalrat ihn mit Applaus verabschiedet.

Die Traktanden des Nationalrats für Mittwoch, 2. Juni, 08:00 bis 13:00 und 15:00 bis 19:00:

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