«Nur Ja heisst Ja» ist die beste Lösung für das neue Sexualstrafrecht – Viele Bedenken gründen auf falschen Vorstellungen.
Nur Ja heisst Ja
Kampagne von Amnesty Schweiz zum Sexualstrafrecht. - Amnesty Schweiz

Das Wichtigste in Kürze

  • «Nur Ja heisst Ja» etabliert sich in Europa gerade als Goldstandard.
  • Strafrechtliche und prozessuale Bedenken entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Mythen.
  • Ein Gastbeitrag von Amnesty Schweiz.
Ad

Am kommenden 5. Dezember wird der Nationalrat über die Revision des Sexualstrafrechts debattieren. Kern der Debatte bildet dabei die künftige Definition der Vergewaltigung (Art. 190 StGB) im Schweizer Strafrecht.

«Nur Ja heisst Ja» Nationalrat
«Nur Ja heisst Ja» würde bedeuten, dass vor jeder sexueller Handlung alle involvierten Personen ihr Einverständnis geben müssten. - Keystone

Während der Ständerat als Erstrat mit knapper Mehrheit für die sog. «Nein-heisst-Nein»-Lösung optierte, bei der sich der Täter über eine ausdrücklich oder stillschweigend geäusserte Ablehnung des Opfers hinwegsetzen muss, bevorzugt die Rechtskommission des Nationalrats die sog. «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung, bei der eine Strafbarkeit vorliegt, wenn kein ausdrückliches oder konkludentes Einverständnis vorliegt.

Ein Bruchteil der Fälle wird heute angezeigt

Während das «Nein-heisst-Nein»-Prinzip im Vergleich zum bisherigen Nötigungsprinzip einen Fortschritt darstellt, hat es mit diesem gemein, dass vom Opfer weiterhin ein bestimmtes Verhalten verlangt und es in einem allfälligen späteren Verfahren ins Rampenlicht gerückt wird. Dies ist deshalb problematisch, weil es einen «chilling-effect» haben kann: Studien zeigen, dass Opfer die Täter aufgrund dieser drohenden Stigmatisierung nur in einem Bruchteil der Fälle anzeigen.

Amnesty Schweiz
Kampagne von Amnesty Schweiz zur Änderung des Sexualstrafrechts «Nur Ja heisst Ja». - Amnesty Schweiz

Darüber hinaus und vor allem erfasst die Ablehnungsvariante das Phänomen der «tonischen Immobilität» (sog. «freezing») nicht, bei der das Opfer in eine Angststarre verfällt und nicht reagieren kann. In solchen Fällen verhindert eine biologische Reaktion eine – wie auch immer geäusserte – Ablehnung; ein solches Erstarren als konkludente Zustimmung deuten zu wollen, ginge hingegen zu weit. Nach einer schwedischen Studie betrifft dies ca. 70% der betroffenen Frauen, weshalb dies – jenseits aller normativen Diskussionen – bei der Wahl einer bestimmten Lösung nicht einfach übergangen werden darf.

Mythen und Fiktion

Dies führt zur Frage, warum sich die Schweiz angesichts dieser Ausgangslage – und ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Istanbul Konvention spricht klar davon, dass ein Einverständnis erteilt werden müsse – ziert, die «Nur-Ja-heisst-Ja-Lösung» einzuführen. Teils ist dies auf strafrechtliche und -prozessuale Bedenken zurückzuführen, welche sich bei genauerem Hinsehen indes als Mythen entpuppen:

‒ Zunächst wird vorgebracht, die Einwilligungslösung führe zu einer Beweislastumkehr, weil der Angeklagte den Beweis für das Vorliegen der Einwilligung erbringen müsse. Dies ist nicht korrekt: Es bleibt weiterhin Aufgabe der Anklage, den Beweis für die fehlende Einwilligung zu erbringen und dafür, dass der Handelnde diese fehlende Einwilligung vorsätzlich (Art. 12 Abs. 2 StGB) übergangen hat. Es bleibt mithin weiterhin Sache der Staatsanwaltschaft, die gesamten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Der einzige Unterschied besteht aber darin, dass der Fokus stärker auf dem Verhalten des Handelnden und nicht auf jenem des mutmasslichen Opfers liegen wird.

Amnesty Schweiz
Aktion von Amnesty Schweiz zur Kampagne «Nur Ja heisst Ja» - Amnesty Schweiz

‒ Es wird befürchtet, dies führe zu einer Kriminalisierung oder zumindest Verrechtlichung der Sexualität, weil stets eine Zustimmung eingeholt werden müsse. Diese Kritik geht insofern fehl, als es um den Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung vor nicht erwünschten Eingriffen geht. Wie bei dem Recht auf körperliche Unversehrtheit ist es legitim, ein die sexuelle Integrität einer Drittperson tangierendes Verhalten solange als unzulässig zu betrachten, als die betroffene Person nicht darin einwilligt.

‒ Weiter wird vorgebracht, der nemo tenetur-Grundsatz (also das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen) werde ausgehebelt, da ein Schweigen bezüglich der Frage, ob ein Einverständnis erteilt worden sei, auf dessen Nichterteilung hindeute. Dies ist aus juristischer Sicht ebenfalls nicht korrekt. Die Strafverfolgungsbehörden müssen wie bisher die Gesamtumstände sowie die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Parteien betrachten und berücksichtigen, dass es sich vorliegend um ein «Vieraugendelikt» handelt.

Wie gefällt Ihnen der Gastbeitrag von Amnesty International?

‒ Auch die Unschuldsvermutung und der Grundsatz in dubio pro reo werden nicht angetastet. Das Gericht muss weiterhin sämtliche verfügbaren Umstände berücksichtigen und die angeklagte Person freisprechen, wenn nicht zweifelsfrei erstellt ist, dass kein Einverständnis erteilt worden ist.

Diverse Länder in Europa machen es vor

Schliesslich sei noch angemerkt, dass sich die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung in Europa gerade als Goldstandard etabliert – es handelt sich mithin nicht mehr nur um die «Schwedische Lösung» – und durch die Expertenkommission des Europarats (GREVIO) auch empfohlen wird.

Nur Ja heisst Ja
Frauen fordern an einer Demonstration «Nur Ja heisst Ja» in Zürich. - Keystone

In ihrer Stellungnahme zum GREVIO-Bericht vom 15. November 2022 schreibt der Bundesrat etwas trotzig, dass die Umsetzung der Istanbul Konvention den Unterzeichnerstaaten überlassen sei. Es ist zu hoffen, dass die Schweiz auch in diesem Bereich ihren sonst hohen Ansprüchen genügen und sich für die aus Sicht der mutmasslichen Opfer beste und aus jener der Angeklagten Personen gleichwertige Lösung entscheiden wird.

Claude Humbel
Claude Humbel, Mitglied der Jurist*innengruppe von Amnesty International, Schweizer Sektion.
Amnesty Samuel Domenech
Samuel Domenech, Mitglied der Jurist*innengruppe von Amnesty International, Schweizer Sektion.

Die Autoren Dr. iur. Claude Humbel (LL.M., RA) und Samuel Domenech (MLaw) sind Mitglieder der Jurist*innengruppe von Amnesty International, Schweizer Sektion.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

VergewaltigungNationalratBundesratStänderatGerichtStudieAmnesty International