Der jüngste Abstimmungssonntag liegt nun einige Wochen zurück. Politik und Gesellschaft wurden durchgeschüttelt. Jetzt gilt es aufzuräumen. Ein Gastbeitrag.
Stephan Schmid-Keiser
Stephan Schmid-Keiser - zvg
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Stephan Schmid-Keiser war in der Pfarreiseelsorge und ist nun publizistisch tätig.
  • Im Gastbeitrag schreibt er über die Veränderungen, die zum Leben gehören.

Der jüngste Abstimmungssonntag liegt mittlerweile einige Wochen zurück. Politik und Gesellschaft wurden damals heftig durchgeschüttelt. Nicht wenige Scherbenhaufen gilt es nun aufzuräumen. Bedächtig der näheren Zukunft in die Augen schauen, ist trotzdem nicht die Lösung. Denn Veränderungen allüberall gehören nicht nur zu unserer Zeit.

Da ist eine Person dran, sich zu verändern, macht Weiterbildung um Weiterbildung und wechselt schliesslich ihren Arbeitsplatz. Da kommen Familien nicht darum herum, sich den heranwachsenden Kindern anzupassen, sich den Veränderungen bei deren Eintritt in die Schulzeit zu stellen.

Schliesslich stehen alle mittendrin in einer Gesellschaft, die diskutiert über Veränderungen im Essverhalten, über Einflüsse des Klimas auf das weltweite Zusammenleben, über die Preisspirale, über schneller, besser, billiger und sei’s mit der SBB. Veränderung überall und aus jeder Perspektive, ob vermischt mit Empörung darüber oder gepaart mit Erschöpfung.

Menschliches Mutamur-Gen

Haben nicht von jeher die Glocken im Kirchturm oder die Pausenglocken der Schule angezeigt, was die Stunde geschlagen hat? Zum nächsten Arbeits-Schritt, zur nächsten anstehenden Herausforderung? Man will ja nicht von gestern sein und weiterkommen, sich verändern. Da war sie doch schon zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert die lateinische Devise: tempora mutantur et nos mutamur in illis. Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen.

gastbeitrag
Die Zeiten ändern sich. - zvg

Da Menschen von Geburt an mit Neugier ausgestattet sind, ist ihnen so etwas wie ein Veränderungs-Gen mit in die Wiege gelegt. Selbst der an Behinderungen leidende Zeitgenosse oder seine Kollegin möchten ihre Neugier ausleben. Geradezu deutlich wird dies, wenn sich dort in einer sozialen Institution Ralph regelmässig zur Fastnachts-Zeit verkleiden möchte – die Abwechslung geniesst und ebenso regelmässig sich gegen die Langeweile auflehnt. Ein verlässliches Umfeld ermöglicht auch ihm als Schwerbehindertem gelegentliche Ortswechsel und die Teilnahme an Anlässen in grösserem Rahmen.

Verlässlichkeit

In ihren Wohngruppen werden Behinderte von engagierten Fachkräften begleitet, die ihr Bestes geben im ganz normalen Alltag. Auch in dieser etwas geschlossenen Welt stehen sie vor der Aufgabe, den ihnen Anvertrauten einen verlässlichen Begleit-Rahmen zu sichern. Auch hier wechseln sich Phasen ab – Phasen der Ruhe mit Phasen psychischer und physischer Belastung.

work life balance
Das Smartphone sorgt bei Schweizern für eine schlechte Work-Life-Balance (Symbolbild). - Keystone

Hier in einem wenig beachteten Randbereich der arbeitsteiligen Gesellschaft suchen die Beteiligten auf ihre Weise, täglich ihre Lebens-Balance zu finden. Alles geht weniger schnell vor sich als in der offenen Gesellschaft, wo man nicht darum herumkommt, nicht nur für sich selbst die Work-Life-Balance zu erreichen. Ob Familie oder Wirtschaft, ob Nachbarschaft oder Gesellschaft, Interessengruppen oder Kirchen – Menschen, die sich den wechselnden Anforderungen ihres Lebens zu stellen bereit sind, brauchen Zeiten zum Abschalten wie Zeiten des Engagements. Ende der kleinen Predigt!

Beschleunigung und Trägheit zugleich

Veränderung bedeutet heute etwas ganz anderes! Sie kommt schleichend daher, getrieben von verschiedensten Kräften. Geldgier und träges Zurücklehnen zugleich finden sich neben beschleunigter Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der Ausgrenzung von Schwachen.

Einer Zeitgenossin fiel auf, dass wir in einer VUCA-Welt leben, Kürzel für Veränderungen und ihre Konsequenzen. V für Volatility = Flüchtigkeit / U Uncertainity = Unsicherheit / C Complexity = Komplexität / A Ambiguity = Mehrdeutigkeit. Im Kontrast dazu ging dieselbe Autorin – Nadia Rudolf von Rohr als langjährige Geschäftsleiterin des Franziskanischen Laienordens in der Deutschschweiz – in einer Gruppe der Frage nach dem roten Faden durch das Leben.

Sie wollten wissen, was dabei helfe, «vielfältige Veränderung zu bewältigen». Vier Haltungen schälten sich heraus, die sie dem Kürzel VUCA gegenüberstellten: Gelassenheit, Vertrauen, Offenheit, Bedächtigkeit. Die Autorin meinte abschliessend: «Mit Veränderungen leben, sich wandeln lassen, ist eine Grunderfahrung menschlichen Lebens. Als im Glauben verwurzelte Menschen brauchen wir uns davor nicht zu fürchten.»

Fähigkeiten einbringen

Mit VUCA ist zu rechnen. Ebenso mit Widerständen, wie exemplarisch die jüngsten Abstimmungen zeigen. Was bleibt? Wir stehen vor globalen Veränderungen. Dies kann bedeuten, sich bei aller Flüchtigkeit konstruktiv an Projekten zu beteiligen – sich bei aller Unsicherheit im gegenseitigen Vertrauen zu üben – sich bei aller Komplexität den Aufgaben Schritt für Schritt zu widmen – sich bei aller Mehrdeutigkeit auf wechselnde Rollen einzustellen, die Veränderungsprozesse prägen.

Nicht zuletzt gilt es in solchen Prozessen fördernde Kräfte und hemmende Kräfte miteinander ins Gespräch zu bringen und bei grösseren Umstellungen allen Beteiligten offen und klar zu begegnen. Ob Steuerfrau oder Machtspieler, ob Pfadfinderin oder Vor-Sich-Hin-Brüter – Schritt für Schritt sind in Veränderungen alle gefragt! Gefragt ist auch ein Stück des verlorenen Glaubens daran, dass jedem seine ganz eigenen Fähigkeiten auf den Lebensweg mitgegeben sind. Fragt stets danach, was euch ins Leben mitgegeben wurde! Und: Rauft euch zusammen!

Zum Autor: Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser war langjährig in der Pfarreiseelsorge und ist nun nachberuflich publizistisch tätig.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

SBB