Der Bundesrat schickt Änderung des Betäubungsmittelgesetzes in die Vernehmlassung
shutterstock_86653759.jpg
shutterstock_86653759.jpg
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Ende Juni machte der Bundesrat einen Schritt vorwärts, um die medizinische Anwendung von Cannabis zu vereinfachen.
  • Was heisst das jetzt für die Betroffenen und wem würde diese Gesetzesänderung helfen? Eine Analyse.

Mit der Revision des Betäubungsmittelgesetzes möchte der Bundesrat das Potential von Cannabis zur medizinischen Anwendung besser nutzen und den kranken Menschen mit möglichst geringem, bürokratischem Aufwand den Zugang zu Cannabis-Arzneimitteln ermöglichen. Die Vernehmlassung dauert bis zum 17. Oktober 2019.

Was würde sich für die Cannabis-Patientinnen und Patienten ändern?

Das Verkehrsverbot für Cannabis zu medizinischen Zwecken würde aufgehoben. Cannabis für nicht-medizinische Zwecke bliebe dagegen unverändert verboten.

Durch die Gesetzesänderung würden der Anbau, die Verarbeitung, die Herstellung und der Handel von medizinisch eingesetztem Cannabis dem Bewilligungs- und Kontrollsystem von Swissmedic unterstellt.

Cannabis wird wie andere medizinisch verwendeten Betäubungsmitteln (zum Beispiel Kokain, Methadon oder Morphin) klassifiziert.

Für die Behandlung mit Cannabisarzneimitteln bräuchte es keine Ausnahmebewilligung vom Bundesamt für Gesundheit mehr.

Die Therapiefreiheit wäre gewährleistet und die Verantwortung für die Behandlung läge ausschliesslich bei den Ärztinnen und Ärzten.

Sicherheits- und Qualitätsanforderung zur Herstellung von Cannabis-Arzneimitteln würden in das Schweizerische Arzneibuch (Pharmacopoea Helvetica) aufgenommen. Eine Änderung des Heilmittelrechts ist dazu nicht notwendig.

Die Voraussetzungen für die Kostenvergütung über die obligatorische Krankenpflegeversicherung sollen sich nicht ändern. Das heisst für die Patientinnen und Patienten, dass die Kosten weiterhin nur auf freiwilliger Basis von den Kassen übernommen werden müssen. Das BAG klärt aber ab, ob es Handlungsbedarf gibt.

Nicht zu früh freuen! Es wird noch Jahre dauern

Auch wenn es nun oft schon so tönt, als wäre die medizinische Anwendung von Cannabis bald legal, muss man realistisch bleiben. Die politischen Prozesse brauchen voraussichtlich mehr als 3 Jahre und dann muss das Gesetz noch umgesetzt werden. Die Cannabis-Patientinnen und Patienten sind froh, dass eine neue Regulierung für die medizinische Abgabe in Aussicht steht. Das heisst aber für viele, dass sie sich weiterhin für einige Jahre in einer unzumutbaren Situation befinden werden. Krank zu sein und das benötigte, hilfreiche Medikament nicht zu erhalten, ist für diese Menschen eine starke psychische Belastung.

Was würde diese Gesetzesänderung für die Betroffenen bedeuten?

Egal wie die Gesetzesänderung ausfallen wird, es ist für die Patientinnen und Patienten ein Fortschritt. Ein Gesetz würde die medizinische Anwendung von Cannabis legitimieren und endlich Straffreiheit gewähren. Der Schweizer Staat würde mit einem solchen Gesetz, den Betroffenen gegenüber faktisch bestätigen, dass Cannabis ein Medikament ist.

Die Verantwortung für die Behandlung läge bei den Ärztinnen und Ärzten

Das ist ganz im Sinne der Betroffenen. Da Cannabis medizinisch bei sehr vielen Leiden und Krankheiten eingesetzt werden kann, ist es den Patientinnen und Patienten wichtig, dass keine Indikationen für die medizinischen Anwendungsbereiche im Gesetz definiert sind. So wäre auch die von den kranken Menschen so zwingend geforderte Therapiefreiheit gewährleistet. In Zukunft könnte dadurch vielleicht auch möglich werden, dass «weniger schwere Leiden», wie zum Beispiel monatliche Menstruationsbeschwerden mit Cannabis-Arzneimitteln behandelt werden könnten. Cannabis als Medikament sollte keinesfalls nur Schwerkranken Menschen zur Verfügung stehen. Gerade bei verschiedensten Altersgebrechen ist Cannabis eine pflanzliche Alternative zu abhängig machenden Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Mit der Auslegung dieses Gesetzes sind den Ärzten für die Verschreibung keine Grenzen gesetzt. Das ist sehr erfreulich. Diese Möglichkeit würde vor allem neuen Cannabis-Patientinnen und Patienten helfen. Würde nun im Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt Cannabis als sinnvollstes Medikament definiert, kann mit einem Therapiebeginn sofort gestartet werden. Das würde vieles vereinfachen.

Das Fachwissen über die medizinische Anwendung ist bei den Ärztinnen und Ärzten noch nicht wirklich angekommen

Da die Betroffenen aber wissen, wie schwierig es im Moment immer noch ist überhaupt eine medizinische Fachperson zu finden, die sich mit der Anwendung von Cannabis auskennt und bereit ist es zu verschreiben, besteht eine grosse Angst, dass sich dieser Aspekt nicht so schnell ändern wird. Dieses Gesetz funktioniert aber nur, wenn die Medikamente wirklich auch verschrieben werden. Heute muss oft noch viel Überzeugungskraft eingesetzt werden und viele Patientinnen und Patienten werden belächelt oder als «drogensüchtig» abgestempelt. Das Verständnis für die Cannabis-Patientinnen und Patienten und der Wunsch nach cannabishaltigen Medikamenten ist in der Schulmedizin immer noch ein Tabu. Dagegen argumentiert wird jeweils mit fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Tausende Patientengeschichten aus der ganzen Welt erzählen aber eine andere Geschichte und inzwischen wird auch weltweit intensiv für die medizinische Anwendung zu verschiedensten Indikationen geforscht.

Wer wird die Cannabis-Medikamente herstellen und verkaufen?

Aus wirtschaftlicher Sicht dürften Hersteller von Phytoarzneimitteln, spezialisierte öffentliche Apotheken und inländische Rohstoffhersteller von der Gesetzesänderung profitieren. Auch das ist aus Sicht der Patientinnen und Patienten sicher die richtige Richtung. Durch die bereits legale CBD-Produktion in der Schweiz ist ein grosses Know-how vorhanden und die inländische Produktion sollte unbedingt bevorzugt werden. Wenn man das Gesetz genau unter die Lupe nimmt, stellt man aber fest, dass wenn Cannabis als Betäubungsmittel eingestuft wird, sich die Schweiz an Abkommen zu halten hat, die sie 1970 mit der UNO eingegangen ist. Die Mitgliedstaaten haben dem Betäubungsmittelkontrollorgan («International Narcotic Control Board», INCB) die von ihnen produzierten, ein- und ausgeführten, eingelagerten sowie verbrauchten Betäubungsmittel zu melden. Um dies zu gewährleisten, muss jedes Land, das die medizinische Anwendung von Cannabis zulässt, eine nationale Cannabis-Agentur einführen. Die Schweiz muss nicht, will sich aber an dieses Abkommen halten. Swissmedic würde die Aufgabe der Überwachung übernehmen.

Hohe Anforderungen an Produzenten und Hersteller der Cannabis-Medikamente

Auf zukünftige Rohstoffproduzenten und auf die Hersteller der Medikamente kommen viele Richtlinien und Gesetze zu. Wie diese genau aussehen, sind im Heilmittelgesetz und in der Pharmacopoea Helvetica zu finden. Es ist anzunehmen, dass sich dieser Aufwand nur für grössere Produktionsfirmen, die GMP-zertifiziert sind, rechnen wird. Auch die Herstellung der Cannabis Arzneimittel wird Kosten generieren. All dies wird sich wohl auf den Preis der Medikamente auswirken. Die gleiche Entwicklung konnte man auch in Deutschland nach der Einführung des Medizalcannabis-Gesetzes sehen. Die Preise stiegen stark, haben sich inzwischen aber ein bisschen eingependelt. In Anbetracht, dass Medikamente in der Schweiz oft teurer sind als im Ausland, ist nicht anzunehmen, dass diese zukünftigen Cannabis-Medikamente moderate Preise haben werden. Die Preise sind ja heute schon bei der Sonderregelung vom Bundesamt für Gesundheit das grösste Problem. Die Patientinnen und Patienten können sich trotz Bewilligung, die Medikamente nicht leisten. Die Preise sind um ein x-faches teuer als auf dem Schwarzmarkt. Es ist sehr optimistisch vom BAG zu glauben, dass die geschätzten 65'000 bis 100'000 Patienten auf diese Produkte umsteigen, wenn der Preis nicht stimmt. Schon gar nicht in Anbetracht, dass die Kosten in näherer Zukunft nicht von den Krankenkassen übernommen werden müssen.

Schlechte Aussichten für die bereits praktizierenden Cannabis-Patientinnen und Patienten

Das ist auch genau der Punkt, den die Betroffenen an diesem Gesetz kritisieren. Cannabis würde zwar ein verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel mit allen Sicherheitsvorkehrungen unter Kontrolle des Arztes, aber die wissenschaftliche Evidenz wird weiterhin angezweifelt. Die Kosten müssen selber getragen werden, obwohl oft andere Behandlungen oder Medikamente eingespart werden können. Das ist nicht fair. Es entsteht ein Zweiklassen-Gesundheitssystem. Wer genug Geld hat, kann sich die Cannabis-Medikamente leisten, wer nicht, wird weiterhin gezwungen, sich zu kriminalisieren. Das ist moralisch verwerflich und wird das hoch gesteckte Ziel des Bundes, viele der «Selbsttherapierer» in einen legalen Markt zu lenken, verhindern. Dafür braucht man keine Kristallkugel, um diese Entwicklung vorauszusehen. Die Betroffenen, die sie sich schon seit Jahren selber therapieren, werden im Regen stehen gelassen. Noch schlimmer, sie werden explizit im Gesetz ausgeschlossen. Der medizinische Selbstanbau wird weiterhin verboten bleiben. Das ist aber, solange die Krankenkasse nicht bezahlen, für viele Betroffene die einzige finanzierbare Möglichkeit.

Eigenanbau und Erlaubnis für die Gründung von Medical Cannabis Social Clubs

Bis eine neue medizinische Abgaberegulierung realisiert ist und die Kosten von den Krankenkassen bezahlt werden, muss es Patientinnen und Patienten erlaubt werden, ihr Medikament so billig wie möglich herzustellen. Die einzige Möglichkeit für die Betroffenen zahlbare und saubere Cannabis-Medikamenten zu bekommen, ist der Eigenanbau.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

BundesratArztCannabisHandelSwissmedicKokainGesetzStaatAngstUNOKrankenkassenKrankenkasse