Italien hat gewählt - und zwar extrem rechts. Die drittgrösste Volkswirtschaft der EU dürfte bald von der 45-jährigen Giorgia Meloni geführt werden. Sie steht der Europäischen Union äusserst skeptisch gegenüber.
italien Giorgia Meloni
Giorgia Meloni ist die Wahlsiegerin in Italien. - Oliver Weiken/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Auf diesen Moment haben Europas Rechte lange gewartet.

Frankreichs Vorzeige-Nationalistin Marine Le Pen feiert einen «grossen Sieg» der rechtsradikalen Fratelli d'Italia.

Ungarns Dauer-Querulant Viktor Orban schickt ein «Bravo, Giorgia!» an seine Freundin Meloni nach Rom.

Der AfD-Europaabgeordnete Nicolaus Fest jubiliert: «Frankreich, Schweden und nun Italien zeigen, dass dem Konservatismus die Zukunft gehört!» Was kommt da auf die Europäische Union zu?

Ganz konkret eine nicht sehr gross gewachsene Römerin - die seit Sonntagabend aber nirgendwo mehr übersehen wird. Das dürfte auch Europa noch merken, wenn Giorgia Meloni und die rechtsradikalen «Brüder Italiens» die Ankündigungen in Richtung Brüssel wahr machen. «Würde und Stolz» will die Wahlsiegerin den Italienern zurückgeben, teilte sie am Tag nach dem grossen Erfolg mit.

Was genau das bedeutet, präzisierte Meloni nicht. Sie steht den EU-Institutionen sehr skeptisch gegenüber. Im Wahlkampf hütete sie sich zwar davor, Brüssel allzu aggressiv zu attackieren - schliesslich wollte sie verantwortungsvoll und staatstragend rüberkommen. Einmal brach aber aus ihr heraus, dass der «Spass» nun vorbei sei. Sie deutete immer wieder ihre Sicht an, Italien werde nicht genug respektiert, ja sogar benachteiligt, etwa von Deutschland.

Feindbild Europäische Union

Für die Fratelli-Gründerin musste die EU stets als Feindbild herhalten. Meloni hasst es, dass in Brüssel und nicht in Rom etliche Gesetze und Normen des alltäglichen Lebens entstehen. Sie ist dagegen, dass EU-Recht dem italienischen vorangestellt ist. Sie will schon seit Jahren EU-Verträge nachverhandeln, allen voran den Fiskalpakt. Den Euro nannte sie im Januar 2018 eine «falsche Währung» und forderte eine Entschädigung für jene Länder, die nach dessen Einführung am meisten gelitten hätten - dazu gehöre Italien.

Als Oppositionsführerin stimmte sie zumeist nicht für die Regeln des europäischen Multi-Milliarden-Pakets für den Kampf gegen die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Dabei erhält Italien mit rund 191 Milliarden Euro so viel wie kein anderes Land in der Union.

Weil dieser riesige Batzen nur scheibchenweise ausgezahlt wird, und jede Tranche an Bedingungen geknüpft ist, gehen Beobachter davon aus, dass Meloni zunächst auch weiterhin keine heftige Konfrontation mit Brüssel sucht. Die Milliarden werden in dem Mittelmeerland dringend gebraucht. Der Aufbaufonds zeigt, wie Italien international eingebunden ist - eine radikal rechte Regierung hat also keinen unbegrenzten Spielraum.

Salvini und Berlusconi nach Einzelergebnissen geschwächt

Viele beruhigt, dass Meloni immerhin betont, am Engagement für die Ukraine und den Sanktionen gegen Russland festhalten zu wollen. Ihre Koalitionspartner Matteo Salvini und Silvio Berlusconi als Freunde und Fans von Kremlchef Wladimir Putin beunruhigen da schon mehr - nach mauen Einzelergebnissen sind die beiden aber geschwächt.

Es ist das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass eines der grössten EU-Länder von einer so radikal Rechten geführt werden dürfte. In Brüssel und anderen Hauptstädten befürchten manche, dass nach der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem scheidenden Regierungschef Mario Draghi nun mit dessen designierter Nachfolgerin Destruktives aus Rom kommt. Wird Italien, die drittgrösste Volkswirtschaft der EU und das Gründungsland der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Union lähmen - oder zumindest schwächen?

«Für die Europäische Union wird es ungemütlich werden», sagte Nino Galetti, der Büroleiter Rom der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Einen möglichen Konflikt machte er bereits aus. Galetti kann sich vorstellen, «dass Giorgia Meloni sich zu einer Gegenspielerin zu EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufspielen wird».

Die deutsche Politikerin hatte vorige Woche für Aufruhr in Italien gesorgt, als sie angesprochen auf einen Rechtsruck in Rom sagte: «Wenn die Dinge in eine schwierige Richtung gehen - ich hatte schon über Ungarn und Polen geredet - dann haben wir Werkzeuge.»

Warschau und Budapest werden eine Verbündete haben

Just wegen Ungarn und Polen beunruhigt Meloni. Mit Ungarns Regierungschef Orban ist die Italienerin befreundet, Polens rechtsnationale Regierungspartei PiS sitzt im Europaparlament in der gleichen Fraktion wie Melonis Fratelli. Gegen die zwei osteuropäischen Länder laufen in Brüssel mehrere Verfahren, die Meloni zuletzt jeweils deutlich kritisierte. Dass Melonis Regierung in Kürze dafür stimmt, Ungarn Zahlungen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zu kürzen, ist kaum denkbar. Mit ihr im Europäischen Rat werden Warschau und Budapest eine Verbündete haben.

Die Rechten, die zuletzt auch in Schweden erfolgreich waren, sehen sich in Europa im Aufwind. «Linke Regierungen sind so was von gestern», twitterte der AfD-Bundestagsabgeordnete Malte Kaufmann. Der Chef der rechtspopulistischen Vox-Partei in Spanien, Santiago Abascal, schrieb in einem Tweet: «Giorgia Meloni hat den Weg für ein stolzes, freies Europa mit souveränen Nationen gewiesen.»

Migration: Meloni schlug Seeblockade vor

Einige könnten in diesem Europa weniger frei sein. In der Migrationspolitik ist eine Konfrontation zu erwarten. Meloni versprach, hart gegen Migranten vorzugehen, die über das Mittelmeer kommen. Sogar eine Seeblockade vor Afrika schlug sie vor. Solche Ideen - und andere Forderungen etwa zum Abtreibungsrecht - alarmieren.

Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne liess am Montag gleich mal wissen, dass man - ganz grundsätzlich - auf den Schutz von Grundrechten in allen EU-Staaten pochen werde. «In Europa haben wir eine Reihe von Werten und natürlich werden wir aufmerksam sein, dass diese Werte hinsichtlich der Menschenrechte und des Rechts auf Abtreibung von allen respektiert werden», sagte sie dem Sender BFMTV.

In Brüssel hiess es, dass man erstmal abwarten wolle, was nach dem Gepoltere aus dem Wahlkampf tatsächlich unter einer Regierung Meloni passiere. «Nichts wird so heiss gegessen, wie es gekocht wird - vor allem in Italien», sagte ein EU-Diplomat.

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