Die Universität Wien hat die Wirkung von Farben und Formen in Kunstwerken analysiert. Die Studien-Autoren fanden heraus, dass diese nicht universell ist.
kunst Wassily Kandinsky
Eine Museumsbesucherin schaut sich das Werk «Murnau, Kohlgruberstrasse» des Künstlers Wassily Kandinsky aus dem Jahr 1908 an. Gemäss einer neuen Studie differieren Urteile über Kunst von Betrachter zu Betrachter zum Teil erheblich (Archivbild). - sda - Keystone/STEFFEN SCHMIDT
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Universität Wien hat die Wirkung von Farben und Formen in Kunstwerken untersucht.
  • Die Studien-Autoren kamen zum Schluss, dass fast jeder etwas anderes sieht.

Rote Farben sind warm, runde Linien weiblich, gedeckte Töne traurig. Oder? In der Kunstbetrachtung haben sich intuitive Annahmen über die Wirkung ästhetischer Elemente als Allgemeinplätze durchgesetzt. Eine Studie zeigt aber, dass das fast jeder etwas anders sieht.

Im interdisziplinären Ästhetik-Lab der Uni Wien hat man genauer hingeschaut – die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal «Plos One» publiziert. Ganz so einfach ist es nämlich nicht mit der ästhetischen Urteilsbildung.

«In der Kunstgeschichte geht man davon aus, dass bestimmte Effekte von Farben und Formen universell sind», erklärt Eva Specker. Sie ist Erstautorin von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA. Gemeinsam mit den Kunsthistorikern im Team wurden Skalen besonders häufig in der Kunstbeschreibung benutzter Eigenschaften konstruiert. Warm und kalt, schwer und leicht, männlich und weiblich, aggressiv und friedlich, insgesamt 14 Stück.

Übereinstimmung der Befragten geringer als angenommen

Für die Studie bewerteten zwei Gruppen auf diesen Skalen abstrakte Bilder von Wassily Kandinsky, Joan Miró und Fritz Winter. Dabei wurden sowohl Kunstexperten wie auch Laien befragt. Zusätzlich bewerteten sie auch isolierte Elemente – Farben und Formen – aus den gleichen Werken.

Später wurde die Studie mit denselben Teilnehmern wiederholt. Damit wollten die Forschenden prüfen, wie robust die gewonnenen Daten sind. Danach wurde die Studie ein weiteres Mal mit neuen Teilnehmern repliziert.

Joan Miro
Ein Mann sieht sich «The Gold of the Azure» von Joan Miro in Wien an. - keystone

«Die Übereinstimmung der Teilnehmer war wesentlich geringer als angenommen», berichtet Specker. Nur bei drei von 14 Eigenschaftspaaren waren sich die Betrachter einig: «warm kalt», «schwer-leicht», «fröhlich-traurig». Überall sonst hatten die Bilder ganz unterschiedliche Wirkungen. Und dies bei Kunsthistorikern ebenso, wie bei Laien.

Dass sich die vermeintlichen Gesamteindrücke direkt auf bestimmte Farben oder Formen zurückführen lassen, konnte ebenso wenig bestätigt werden: Die Bewertungen ganzer Kunstwerke fielen anders – und wesentlich einheitlicher – aus als die einzelner Elemente.

Ursache für unterschiedliche Bewertungen unklar

Selbstverständlich benutzte Begriffe und Phrasen in der Kunstinterpretation und als «objektiv» gesetzte Eigenschaften von Kunstwerken werden damit infrage gestellt. Der Wechsel der Modalität – also etwa von Farbe zu Emotion – ist offenbar kein einheitlicher Prozess.

Wassily Kandinsky
Das Bild «Improvisation 6 (African)» von Wassily Kandinsky im Thyssen Museum in Madrid. - keystone

«Die Kunsttheorie ist voll von solchen Bild-Beschreibungen – nicht nur der Kunsthistoriker, sondern auch der Künstler selbst», so Specker. Kandinsky führte etwa genau aus, welche Wirkungen er mit bestimmten Farb- und Formanordnungen zu erzielen meinte. Gerade für die abstrakte Kunst hat die Aufladung von Farb- und Formelementen mit einer universell entschlüsselbaren Bedeutung natürlich hohe Relevanz.

Die Ursachen hinter den unterschiedlichen Bewertungen lassen sich aus der aktuellen Studie nicht ableiten. Sie könnten Faktoren der Persönlichkeit ebenso miteinschliessen, wie sozial gelernte «Interpretationen». «Diese sozialen Effekte müssten dann aber bei Experten grösser sein – und das sind sie nicht.» Zwischen den beiden Testzeitpunkten waren die Einschätzungen jedenfalls stabil – eine kurzfristige situative Erklärung kommt daher nicht infrage.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

StudieDatenKunst