Nach Krebskrankheiten stellt die Reintegration Schulen vor Probleme

Jedes Jahr erkranken hierzulande hunderte Kinder und Jugendliche an Krebs: Schulen sind darauf oft nicht ausreichend vorbereitet – mit Folgen für Betroffene.

Eine Krebserkrankung hat für Kinder und Jugendliche schwere Folgen, die weit über die Krankheit hinausgehen: Schulen sind schlecht auf den Umgang mit Überlebenden vorbereitet. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Jährlich erkranken hierzulande rund 350 Kinder und Jugendliche an Krebs.
  • Für viele Überlebende wird die Rückkehr in den Alltag zur Herausforderung.
  • Insbesondere die Reintegration in den Unterricht stellt viele Schulen vor Probleme.

Jedes Jahr werden Hunderte von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz mit lebensbedrohlichen Krankheiten konfrontiert. Eine solche Diagnose wirft sie aus ihrem gewohnten Alltag und stellt ihre Schulbildung auf eine harte Probe, berichtet die «NZZ».

Als Jamiro Morciano 14 Jahre alt war, entdeckten Ärzte einen bösartigen Tumor bei ihm. Sein Leben änderte sich schlagartig: Operation, Intensivstation, Bestrahlung und Chemotherapie.

Nachdem er den Krebs besiegt hatte, kehrte er im Herbst 2015 für sein letztes Schuljahr an die Oberstufe zurück. Doch seine Schule ist darauf schlecht vorbereitet. Jamiro kämpfte mit Müdigkeit und Konzentrationsproblemen. Mathematik wurde zur Herausforderung und auch das Finden der richtigen Worte fiel ihm schwerer als zuvor.

Was folgte, war ein schwieriges Jahr – in schulischer und sozialer Hinsicht. Jamiro fühlte sich von seiner Schule im Stich gelassen. Es ist ein Gefühl, das viele Kinder nach einer Krebserkrankung teilen.

Krebs bei Kindern: Ein unsichtbarer Kampf

In der Schweiz erkranken jährlich etwa 350 Kinder an Krebs: Ein Drittel davon an Leukämie, ein Viertel an Hirn- oder Rückenmarkstumoren. Obwohl vier von fünf Kindern den Krebs überleben, sind die Spätfolgen oft schwerwiegend und beeinträchtigen insbesondere ihre schulische Leistung.

Barbara Kohler, Fachpsychologin für Neuropsychologie am Inselspital Bern, betont das mangelnde Verständnis vieler Lehrer für die Nachwirkungen der Krankheit. «Lehrpersonen reagieren oft verständnisvoller auf jemanden, der seine Haare verloren hat, als auf jemanden, dessen Krebs kaum sichtbar ist.»

Jamiro wollte keine Sonderbehandlung – er wollte einfach nur normal sein. Doch seine Eltern wünschten sich mehr Unterstützung für ihn. Als diese ausblieb und Jamiro sich immer mehr zurückzog, wurde deutlich: Die Schule spielt eine entscheidende Rolle in der Sozialisation krebsüberlebender Kinder.

Die Rolle der Schule in der Wiedereingliederung

Kohler betont die Bedeutung des Schulbesuchs für die gesunde Entwicklung eines Kindes: «Man lernt von seinen Peers, was zu einer gesunden Entwicklung beiträgt». Fehlt dieser Kontakt jedoch durch Krankheit oder Isolation, kann dies gravierende psychosoziale Folgen haben.

Eine schwere Erkrankung kann für Kinder und Jugendliche gravierende psychosoziale Folgen haben, die weit über die Krankheit hinausreichen. (Symbolbild) - keystone

Für Kinder gibt es Avatare – kleine Roboter mit Kamera und Mikrofon – die ihnen ermöglichen digital am Unterricht teilzunehmen. Doch nicht alle Schulen bieten diese Möglichkeit an oder können sich diese leisten.

Auch wenn Jamiro während seiner Behandlung die Spitalschule besuchte, war die Wiedereingliederung in seine reguläre Schule eine Herausforderung. Kohler betont, dass es hierfür keine einheitliche Regelung gibt und das Thema Krebs in der Lehrerausbildung oft zu kurz kommt.

«Krebs fehlt im Lehrplan»

«Krebs fehlt eben im Lehrplan», sagt Jamiros Mutter. Sie betont, dass es nicht an Bereitschaft mangelt, sondern an Wissen. Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Schweizer Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer, stimmt dem zu: «Den Lehrpersonen fehle in den meisten Fällen das nötige medizinische Wissen», erklärt sie gegenüber der «NZZ».

Rahel Morciano fordert auch auf politischer Ebene mehr Engagement: «Eigentlich ist alles vorhanden. Aber es fehlt an der Umsetzung. Ein konkretes Gesetz

Umfrage

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Jamiro hat mittlerweile seinen eigenen Weg gefunden – er besucht das Gymnasium und plant ein Chemiestudium. Doch sein Weg zeigt deutlich: Die Reintegration krebsüberlebender Kinder in die Schule ist kein Selbstläufer – sie erfordert Verständnis, Unterstützung und vor allem Aufklärung.