Humanrights: Freiheitsentzug in der Schweiz gegen Menschenrechte

Angaben von humanrights.ch zufolge ist die Schweizer Praxis des Freiheitsentzugs in drei Bereichen nicht vereinbar mit den Menschenrechten.

Die Polizei im Einsatz. (Symbolbild) - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Umgang der Behörden bei Freiheitsentzügen verstösst gegen die Menschenrechte.
  • Zu diesem Schluss kommt Humanrights.ch.
  • Menschen müssten oft in Einzelhaft, obwohl die krankmachenden Auswirkungen bekannt seien.

Die Praxis des Freiheitsentzugs in der Schweiz verstösst nach Angaben von Humanrights.ch gegen die Menschenrechte. Das betreffe namentlich die Einzelhaft, die Gesundheitsversorgung und den Umgang mit psychisch kranken Gefangenen.

In diesen Bereichen verletze die Schweiz die «Mindestgrundsätze der Uno für die Behandlung von Gefangenen», auch Nelson-Mandela-Regeln (NMR) genannt. Das teilte die Menschenrechtsorganisation Humanrights.ch am Mittwoch mit.

Sie bezieht sich damit auf einen Bericht des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR).

Einzelhaft in Kritik

Die NMR sind laut Humanrights.ch rechtlich nicht bindend. Dennoch handle es sich um eine politisch bedeutende Leitlinie für Behörden, Justiz und Gesetzgeber.

Das SKMR kritisiert: Die Einzelhaft werde in der Schweiz in Untersuchungshaft standardmässig und im Straf- und Massnahmenvollzug oft als Disziplinarstrafe eingesetzt. Das werde getan, obwohl die krankmachenden Auswirkungen hinlänglich bekannt seien.

Als gefährlich eingestufte Gefangene würden zudem in Hochsicherheitsabteilungen unbefristet isoliert. Einzelhaft ohne zeitliche Beschränkung verstosse in jedem Fall gegen die NMR. «Sie stellt unabhängig vom konkreten Einzelfall stets eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe oder gar Folter dar.» Dies schrieb das SKMR.

Krankenversicherungsobligatorium für inhaftierte Personen gefordert

Aus Sicht von Humanrights.ch müssen die verschiedenen Formen von Einzelhaft umfassend untersucht werden. Politik und Behörden müssten sicherstellen, dass diese Praxis nur als letztes Mittel und für eine möglichst kurze Dauer angewendet werde.

Bei der Gesundheitsversorgung bemängelt das SKMR die fehlende Unabhängigkeit des Gesundheitspersonals. Der Gesundheitsdienst sei regelmässig in die Anstaltsorganisation statt in die öffentliche Gesundheitsfürsorge eingebettet.

Das SKMR verlangt in seinem Bericht zudem ein Krankenversicherungsobligatorium für alle in der Schweiz inhaftierten Personen. Zuvor hatte das bereits die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter gefordert. Und auch Humanrights.ch spricht sich dafür aus.

Weiter fordert das SKMR von den Behörden verstärkte Bemühungen für eine angemessene Behandlung psychischer Beeinträchtigungen im Freiheitsentzug. Angesprochen ist damit vor allem die Ausgestaltung des stationären Massnahmenvollzugs nach Artikel 59 des schweizerischen Strafgesetzbuches.

Menschenrechtsausschuss ebenfalls kritisch

Die Massnahmenvollzugsanstalten und psychiatrischen Abteilungen von Gefängnissen seien «nur bedingt als Institutionen qualifiziert, die dem Strafvollzug entzogen und dem Gesundheitswesen zugeordnet werden könnten», schrieb das SKMR.

Auch der Menschenrechtsausschuss erklärte sich kürzlich besorgt darüber, dass in der Schweiz Menschen mit psychischen Erkrankungen in regulären Gefängnissen platziert und in der Psychiatrie bis zu fünf Jahren eingeschlossen werden könnten. Dabei sei die Frist verlängerbar, unabhängig vom ursprünglichen Urteil des Richters für die Straftat.

Humanrights.ch fordert ein radikales Umdenken im Hinblick auf psychisch kranke Gefangene. Die Lösung liege nicht primär in der Schaffung von immer mehr Haftplätzen, wie dies der Bund anstrebe. Die Zahl der stationären Massnahmen müssten reduziert werden.

Dagegen brauche es ambulante Alternativen wie mehr betreutes Wohnen, hielt Humanrights.ch fest. Die hohe Zahl an stationären Massnahmen - fast 20 Prozent - auch bei Fällen von leichterer Kriminalität sei nicht zuletzt eine Folge davon, dass kaum andere Angebote existierten.