Flucht vor Haft in Polens Präsidentenpalast –Droht eine Staatskrise?
Polens früherer Innenminister und sein ehemaliger Staatssekretär nach Verurteilung ausgeflogen.
Eigentlich hätten Polens ehemaliger Innenminister Mariusz Kaminski und sein früherer Staatssekretär Maciej Wasik am Dienstag ihre zweijährige Haftstrafe antreten müssen. Doch als Polizeibeamte ihre Wohnungen durchsuchten, stiessen sie ins Leere: Die beiden rechtskräftig wegen Amtsmissbrauchs verurteilten Abgeordneten der abgelösten Regierungspartei PiS waren ausgeflogen. Wenig später erfuhren die erstaunten Polen durch einen Post der Präsidialadministration auf der Plattform X, wo sich die Gesuchten aufhielten: bei einem Empfang des Staatsoberhaupts Andrzej Duda im Präsidentenpalast.
Was anmutet wie eine Posse, ist in Wahrheit die Zuspitzung eines Konflikts zwischen dem neuen und dem alten Regierungslager in Polen, der das EU- und Nato-Land in eine Staatskrise führen könnte. Der Machtkampf zwischen der seit dem 15. Dezember amtierenden Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk und der abgewählten nationalkonservativen PiS, aus deren Lager auch Präsident Duda stammt, ist eskaliert. Eine eigentlich für Mittwoch geplante Parlamentssitzung wurde wegen der chaotischen Lage auf kommende Woche verschoben. Tusk drohte Duda und dem PiS-Chef Kaczynski, sie würden wegen «Sabotage der Verfassung» zur Verantwortung gezogen.
Die beiden per Haftbefehl gesuchten PiS-Abgeordneten haben offenbar im Präsidentenpalast Schutz gefunden. Am Nachmittag meldeten sich Kaminski und Wasik dort im Hof zu Wort. «Wir verstecken uns nicht. Im Moment sind wir bei Polens Präsidenten, bis das Böse verliert», sagte Kaminski. Wie lange sie dort bleiben wollen, sagte er nicht. Wasik rief die Anhänger der PiS auf, zu einer für Donnerstag geplanten Demonstration gegen Tusks Regierung nach Warschau zu kommen.
Fall hat lange Vorgeschichte
Der Fall der beiden PiS-Politiker hat eine lange Vorgeschichte. Im Jahr 2015, direkt nach der Machtübernahme der PiS, hatte Duda Kaminski und Wasik in einer umstrittenen Entscheidung begnadigt. Beide waren zuvor in erster Instanz wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Grund der Verurteilung war eine im Jahr 2007 aufgedeckte Affäre, bei der die damals von Kaminski geleitete Antikorruptionsbehörde gezielt einen Korruptionsfall inszeniert haben soll, um den damaligen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper zu diskreditieren. Kaminski und Wasik gingen gegen das Urteil in Berufung.
Im vergangenen Juni hatte der Oberste Gerichtshof die Begnadigung Kaminskis und Wasiks durch den Präsidenten aufgehoben. Begnadigt werden könne nur, wer rechtskräftig verurteilt sei, hiess es in der Urteilsbegründung. Beide mussten sich erneut dem Verfahren stellen. Ende Dezember verurteilte sie das Warschauer Bezirksgericht zu zwei Jahren Haft. Das Gericht verfügte auch, dass beide PiS-Politiker für fünf Jahre kein öffentliches Amt bekleiden dürften und ihr Abgeordnetenmandat verlieren.
Duda hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, dass nach seiner Auffassung die Begnadigung weiter gelte – die führenden Verfassungsrechtler in Polen sehen das anders. Beide Politiker hatten angekündigt, sie wollten ihr Abgeordnetenmandat weiter wahrnehmen und zu den Parlamentssitzungen erscheinen.
Handlungen zielen auf Fundamente des Staates
Am Nachmittag richtete ein sichtlich aufgewühlter Ministerpräsident Tusk klare Worte an Duda: «Herr Präsident, mein inständiger Appell zum Wohle des polnischen Staates: Sie müssen dieses Spektakel beenden. Es wird uns in eine sehr gefährliche Situation führen». Die Handlungen zielten auf die Fundamente des Staates.
Tusk zitierte mit Blick auf das Verhalten des Präsidenten auch aus dem polnischen Strafgesetzbuch: «Wer ein Strafverfahren dadurch behindert oder vereitelt, dass er einem Straftäter hilft, sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen, (...) wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.» Und er warnte: Duda und der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski würden für ihr Treiben zur Verantwortung gezogen. Eine gewaltsame Festnahme von Kaminski und Wasik im Präsidentenpalast schloss Tusk aber eindeutig aus.