Drohende Zwangsräumung in Ost-Jerusalem heizt Spannungen weiter an

Eine drohende Zwangsräumung von vier palästinensischen Familien aus ihren Häusern in Ost-Jerusalem heizt die Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern weiter an. Bei neuen Protesten gegen ein entsprechendes Gerichtsurteil lieferten sich palästinensische Demonstranten am Donnerstagabend Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften.

Festnahme bei den nächtlichen Protesten - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Sieben Festnahmen bei neuen Protesten .

Die Polizei meldete sieben Festnahmen. Bereits in der Nacht zuvor waren bei Zusammenstössen mit der Polizei 22 palästinensische Demonstranten verletzt und elf festgenommen worden.

Die vier palästinensischen Familien müssen damit rechnen, dass sie von den israelischen Behörden aus ihren Wohnungen im Stadtviertel Scheich Dscharrah nahe der Altstadt vertrieben werden. Scheich Dscharrah liegt im Ostteil Jerusalems, den Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt und 1980 annektiert hatte. Die Annexion wird international nicht anerkannt.

Anfang des Jahres hatte Jerusalems Bezirksgericht entschieden, dass die Häuser der palästinensischen Familien rechtmässig jüdischen Familien gehören. Insgesamt droht damit mehr als 30 Palästinensern die Vertreibung.

Einer von ihnen ist der 77-jährige Nabil al-Kurd. «Das ist palästinensisches Land», sagte er. Für die Bewohner sei es inakzeptabel, das Viertel den jüdischen Israelis zu überlassen.

Nach israelischem Recht können jüdische Israelis vor Gericht Besitzanspruch auf Häuser in Ost-Jerusalem anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948-49) dort im Besitz von Grundstücken waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum ebenfalls infolge des Kriegs verloren haben, gibt es kein solches Gesetz.

Jordanien, das Ost-Jerusalem bis 1967 kontrollierte, hatte sich im April in den Fall eingeschaltet, um das Bleiberecht der Familien mit Hilfe alter Dokumente zu untermauern. Demnach waren die Häuser ursprünglich im Besitz der jordanischen Behörden und an anerkannte palästinensische Flüchtlinge vermietet worden.

Israels Oberstes Gericht hatte beiden Seiten bis Donnerstag Zeit gegeben, um einen Kompromiss zu finden. Da dies nicht gelang, muss das Gericht nun entscheiden, ob die palästinensischen Familien gegen das Urteil Berufung einlegen können.

Nach Auffassung der Palästinenser ist der Fall Teil einer breiteren Kampagne, um sie aus Ost-Jerusalem zu vertreiben. Dort leben inzwischen über 210.000 israelische Siedler und mehr als 300.000 Palästinenser. Israel hat ganz Jerusalem zu seiner «unteilbaren» Hauptstadt erklärt, während die Palästinenser Ost-Jerusalem zur Hauptstadt ihres eigenen Staats machen wollen.

Der Streit heizt die Spannungen zwischen beiden Seiten weiter an: Der rechtsextreme Abgeordnete Itamar Ben-Gvir kündigte am Donnerstag an, sein Büro nach Scheich Dscharrah zu verlegen. Zwei Tage zuvor hatte der Chef des militärischen Hamas-Flügels, Mohammed Deif, Israel damit gedroht, es werde «einen hohen Preis zahlen», wenn es an den Zwangsräumungen festhalte.

In einem Schreiben an den Internationalen Strafgerichtshof forderte der Aussenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Rijad al-Maliki, eine öffentliche Stellungsnahme «gegen die Verbrechen Israels am palästinensischen Volk in Scheich Dscharrah».

Der UN-Sonderbeauftragte für den Nahen Osten, Tor Wennesland, bezeichnete die Situation als «äusserst besorgniserregend». Er forderte Israel auf, die Räumungen in Ost-Jerusalem zu stoppen.

Auch die Aussenministerien von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Grossbritannien kritisierten die «fortgesetzten Zwangsräumungen in Ost-Jerusalem, darunter in Scheich Dscharrah». Gleichzeitig riefen sie die israelische Regierung auf, eine Genehmigung des Jerusalemer Bezirksausschusses für den Bau von 540 weiteren Wohneinheiten in der umstrittenen Siedlung Har Homa zwischen Ost-Jerusalem und Bethlehem im besetzten Westjordanland nicht umzusetzen.

Die Siedlungen verstiessen gegen das Völkerrecht und gefährdeten «die Aussichten auf eine friedliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts», hiess es in der Erklärung der Ministerien. Dadurch würden zudem die «Perspektiven für einen lebensfähigen palästinensischen Staat» untergraben.