In Stuttgart beginnt kommenden Montag der erste Prozess gegen Mitglieder der «Reichsbürger» um Heinrich XIII. Prinz Reuss.
Die «Reichsbürger»-Führung bereitete offenbar einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag vor.
Die «Reichsbürger»-Führung bereitete offenbar einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag vor. (Archivbild) - Philipp Znidar/dpa

Es ist Stoff, so unglaublich, dass er eigentlich nur für Filme taugt. Gewaltbereite Männer, Ex-Soldaten, eine Politikerin, vereint durch den Hass auf die staatliche Ordnung, die sich Hunderte Waffen besorgen, Feindeslisten entwerfen, den Reichstag stürmen und die Bundesrepublik Deutschland stürzen wollen. So lauten die Vorwürfe gegen die mutmasslichen «Reichsbürger» um Heinrich XIII. Prinz Reuss.

Am Montag beginnt in Stuttgart der erste Prozess gegen die Gruppe. Im streng gesicherten Saal des Oberlandesgerichts Stuttgart in Stammheim, da, wo sich einst die Mitglieder der RAF-Terrorgruppe verantworten mussten, wird so erneut Justizgeschichte geschrieben. «Das ist eines der grössten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik», meint der Präsident des Oberlandesgerichts, Andreas Singer.

Anklage gegen 27 Verdächtige

Rückschau. Im Dezember 2022 stürmen Polizisten in mehreren Bundesländern und im Ausland Wohnungen und Häuser. Mutmassliche «Reichsbürger» um Prinz Reuss sollen einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. Ergebnis der grossangelegten Anti-Terror-Razzia: Anklage der Bundesanwaltschaft gegen 27 Verdächtige.

Der Vorwurf: Sie wollten die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam beseitigen und sie durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform ersetzen. Die Gruppe soll Zugriff auf ein massives Waffenarsenal gehabt und bei den Umsturzplänen bewusst Tote in Kauf genommen haben. Als Staatsoberhaupt hätte Heinrich XIII. Prinz Reuss fungieren sollen.

Die ehemalige Berliner Richterin und frühere Bundestagsabgeordnete der rechtspopulistischen AfD, Birgit Malsack-Winkemann, hätte für das Ressort Justiz zuständig sein sollen. Auch ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr gehört zu den Beschuldigten.

Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen sie nicht an

Eine Übergangsregierung hätte mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs eine neue staatliche Ordnung in Deutschland verhandeln sollen. Denn: Sogenannte Reichsbürger behaupten, dass das Deutsche Reich (1871–1945) weiter existiert, daher auch der Name. Die Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen sie nicht an.

Der Fall um Prinz Reuss ist so gross, dass ein Oberlandesgericht gar nicht ausreicht. «Wir wollen nicht in irgendeiner Turnhalle einen Schauprozess abziehen, sondern müssen uns mit den Individuen auseinandersetzen», erklärt OLG-Präsident Singer. Deshalb werden die Beschuldigten auf drei Hauptverfahren aufgeteilt.

In Stuttgart geht es um den sogenannten militärischen Arm. In Frankfurt sind ab 21. Mai die mutmasslichen Rädelsführer angeklagt, in München ab 18. Juni die übrigen mutmasslichen Mitglieder. «Dass sich drei Oberlandesgerichte parallel mit ein und derselben terroristischen Vereinigung befassen, die noch gar nicht gerichtlich festgestellt wurde, ist aussergewöhnlich», sagt Singer.

Verhandlungen komplex und aufwendig

Die Verhandlungen dürften komplex und aufwendig werden. Angeklagte in einem Verfahren können als Zeugen in anderen Verfahren geladen werden. Jedes Gericht muss seine eigenen Beweise erheben und zu seinem eigenen Urteil kommen.

Grundsätzlich seien am Ende auch sich widersprechende Urteile möglich, sagt Singer – wobei Beobachter dies für unwahrscheinlich halten. Die Erwartung ist, dass die Bundesanwaltschaft als Anklagebehörde den Überblick be- und die Fäden zusammenhält. Der Generalbundesanwalt sei das Bindeglied, die Klammer, so Gerichtspräsident Singer.

Allein der Prozess in Stuttgart hat Dimensionen, die die Kapazitäten der meisten Gerichte sprengen würden. Neun Angeklagte, fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter als Ersatzspieler und nicht weniger als 22 Verteidiger. Dazu strengste Sicherheitsvorkehrungen.

Die Angeklagten sitzen hinter dicken Glasscheiben. Per Mikrofon können sie mit ihren Verteidigern sprechen. Singer berichtet von insgesamt 400'000 Blatt Ermittlungsakten um die Reuss-Gruppe, die 700 Leitz-Ordner füllen.

Besorgniserregende gesellschaftliche Entwicklung

Die in Stuttgart Angeklagten sollen sich im Jahr 2022 der Vereinigung angeschlossen und sich für den «militärischen Arm» engagiert haben. Dieser habe die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen sollen. Dazu sei schon mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von mehr als 280 militärisch organisierten Verbänden, sogenannten Heimatschutzkompanien, begonnen worden. Die «Heimatschutzkompanie Nr. 221» soll für den Bereich der Gebiete Freudenstadt und Tübingen zuständig gewesen sein.

Wichtig: Für Beschuldigten gilt bis zu einem etwaigen Urteil die Unschuldsvermutung. Bezogen auf die Reichsbürgerszene im Allgemeinen macht Gerichtspräsident Singer deutlich: «Das sind keine netten Onkel, die irgendwelche komischen Ideen haben.» Die wachsende Zahl an Anklagen gegen Reichsbürger und Rechtsextreme sei Teil einer besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklung.

Das zeigen auch die Schüsse von Reutlingen, denen sich das Stuttgarter Gericht zu Beginn des Prozesses widmen will. Unter den Angeklagten ist nämlich auch der Mann, der am 22. März 2023 bei der Durchsuchung seiner Wohnung mehrfach mit einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr auf Polizisten eines Spezialeinsatz­kommandos geschossen und dadurch zwei Beamte verletzt haben soll.

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